„Was haben wir bloß falsch gemacht?“

„Was haben wir bloß falsch gemacht?“ Meine Eltern haben diesen Satz manchmal gesagt. Und mich gemeint. Einen Teenager, der das absolut nicht nachvollziehen konnte:

eine Einser-Schülerin aus Langeweile, nicht aus Ehrgeiz – auf dem Dorf war ja sonst nicht viel los;
eine Abstinenzlerin – trotz der Nähe zur Drogen-Quelle in Groningen: die geweiteten Pupillen meiner Mitschüler fand ich zu spooky,

ein Mädchen, das Exzesse hasste – außer vielleicht im Haus von Freunden, bei denen wir in Abwesenheit der Eltern bis morgens feierten. Und: exzessiv kochten. Und zwar ohne Rezept. Und mit allem, was in den Küchenschränken zu finden war.

Das kulinarische Ergebnis hat nie überzeugt. Und die Küche wurde leider trotz Schrubbens der Kochtöpfe, Pfannen, Oberflächen, des Bodens nie wie vorher. Die Eltern meiner Freunde zweifelten an ihren eigenen Kindern:

„Was haben wir bloß falsch gemacht?“

Ich erwähne hier nur am Rande meine nächtlichen Fahrten (ab zwei Uhr nachts) mit Papas nagelneuem Audi zur Landdisco, durch einödige Felder und Moor, nebliges Nichts, Kilometer um Kilometer, bis dorthin, wo der Bär tanzte.

Ich tanzte Stunden am Stück, schweißnass, reden konnte man im Lärm ja nicht.  Und kam danach immer wohlbehalten nach Hause, die Eltern merkten rein gar nix. Es waren die Nachbarskids, die mit dem geborgten Mercedes im Schloot landeten mit „way too much“ Promille.

Das Fazit:

Ich war ein Musterkid und heute natürlich eine Muster-Mutter, wären da nicht die Kids: „Was habe ich bloß falsch gemacht?“ Dieser Satz wartet darauf gesagt zu werden.

Dabei ist die Lage heute völlig anders, empörte sich gerade mein Zehnjähriger: „Zwischen den 70ern und den 20er liegen fünfzig Jahre, Mama!“ Ich hatte ihm vor der Schule noch die Fingernägel geschnitten, mit Trauerrändern drunter und erklärt, dass ich die auch immer gehabt hatte, weil ich so gern im Modder* gespielt hatte.

„Manche Dinge ändern sich nie“, erklärte ich ihm, wie der Dreck unter den Fingernägeln von Kindern. Und die Diskussion um passende Kleidung. Er beispielsweise möge bei Regen wie heute bitte seine Regenjacke anziehen. „Auf keinen Fall, die muss ich krempeln und dann sehe ich aus wie der Nikolaus. – Und davon gibt es an unserer Schule schon zu viele!“

Ich musste grinsen und gleichzeitig formte sich der besagte Gedanke: „Was habe ich bloß falsch gemacht?“ Er verstärkte sich noch, als mein Sohn sagte: „Ich kann es kaum erwarten, dass sie Laser erfinden mit denen ich mich in einer Hunderstel Sekunde waschen, anziehen und mir die Fingernägel schneiden kann.“

Ich kann es kaum erwarten, bis er ein Teenager ist und ich erfahre, was er sonst noch auf Lager hat. Aber wahrscheinlich verschlafe ich die interessantesten Dinge, wie meine eigenen Eltern.

Und frage mich nur gelegentlich: „Was haben wir bloß falsch gemacht?“

*= „Schlamm mit hohem Anteil organischer Substanzen“ (Wikipedia) oder einfach: nährstoffreicher Dreck.

 

 

 

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