Schreiben ist für mich wie Tiefseetauchen. Der Alltag verblasst, sobald ich mich hineinstürze in meine innere Stimme wie in ein klarblaues Meer. Dann erfasst mich ein Sog, zieht mich tiefer hinein, langsam, behutsam. Ich folge ihm an den Tagen, an denen ich mich traue. Oft lohnt es sich: Ich stoße ganz unten auf Muscheln mit glänzenden Perlen, finde unterwartete Schätze, Lösungen, Ideen, Visionen. Wenn nicht, lohnt es sich trotzdem: Ich paddle ein Stück unter Wasser, lasse mich treiben von Worten und Eingebungen, erforsche bunte Korallen, leuchtend und klar. Lasse mich ablenken von flinken, schillernden Gedanken, die vorbeifliegen wie heitere Südseefische. Wenn mir die Puste ausgeht, tauche ich wieder auf, erfrischt für das Leben an Land.
Was sind Eure Erfahrungen – in Schreibworkshops, beim privaten Schreiben? Hier könnt Ihr mitteilen, was passiert, wenn der Prozess, das Tun, wichtiger ist als das Produkt. Die Texte, die entstehen, haben oft eine besondere Qualität. Auch sie können hier Platz finden, ein Publikum, erste LeserInnen.
Die Einladung ist ausgesprochen: Taucht mit ein und teilt Eure Schätze! Ich freue mich darauf – zusammen mit anderen SchreiberInnen – nicht nur im Schreibstudio Bremen.
Liebe SchreiberInnen,
eine Anregung für Eure Morgenseiten: Ihr wisst schon, jene unzensierten ersten drei Seiten, die Ihr für Euch schreibt, noch bevor der Tag richtig losgeht, um den Kopf frei zu machen, den Tag zu ordnen, Ideen zu befreien, Ballast abzulegen … Diese Seiten müsst Ihr niemandem zeigen, sie sind nur für Euch, sie gehorchen manchmal weder der Grammatik noch den Rechtschreibregeln. Sich selbst beim Denken zuschauen, hat Mark Levy diese Art zu schreiben mal genannt. Bei unserem schönen Herbstwetter – so lange es dauert – könnten diese Morgenseiten doch auch mal im Bürgerpark unter den bunten Blättern der Bäume und im klaren weichen Herbstlicht entstehen. Vielleicht entsteht dann ein Elfchen oder ein Haiku.
Wie diese von japanischen Autoren –
Voreilig glaubt man
Das Rot des Abends käme:
Es ist das Herbstlaub.
Issa
Oder jenes:
Am flachen Strande
Das Wasser leise aufschäumt:
Der erste Herbststurm.
Sentoku
Und hoffentlich noch nicht sobald:
Der erste Schnee schon
Verdammt, verdammt doch noch mal
Am späten Abend!
Viel Spaß bei Euren herbstlichen Morgenseiten.
Deine bildhafte Sprache gefällt mir: Eintauchen, Tiefseetauchen…
Leider geschieht es aber auch, dass ich vor dem „Mich ganz tief einlassen“ zurückschrecke.