„Reicht schon noch“

Ich lese ein kluges Buch. Es geht um Überforderung. „Overwhelmed“ heißt das im Englischen. Das Buch ist von Bridget Schulte, einer Washington Post Journalistin, die erforscht hat, warum gerade Frauen sich getrieben fühlen und nie Zeit zu haben scheinen.

Dieses Gefühl ist uralt und beruht auf der Tatsache, dass sie tatsächlich kaum Zeit haben. Sie kümmern sich um alles und jedes, vor allem um ihre Familie und die Lieben drumherum. Sie fühlen sich verantwortlich und selbst, wenn sie delegieren und abgeben (das können sie natürlich spätestens auf halbem Weg zum CE0), dann bleibt die Kontrollarbeit und das Nacharbeiten bei ihnen hängen. Das tun sie aus jahrtausendealter Tradition und Prägung.

Ich will hier nicht das Buch zusammen fassen, sondern von heute morgen erzählen. Denn ein Tipp der Autorin ist, dass wir die unsicheren Zeiten nutzen, die Zeiten, in denen die Rollen zwischen den Geschlechtern und überhaupt in der Welt neu verteilt werden (vielleicht machen ja demnächst Computer unsere gesamte Reproduktionsarbeit zu Hause). Gerade in diesen Umbrüchen können wir ungewöhnliche Lösungen etablieren, die wirklich funktionieren.

Eine einfache Lösung ist laut Bridget Schulte, die Arbeit für die Kinder zu teilen. Das bedeutet, dass Frauen die Betreuung zeitweise wirklich voll und ganz abgeben an den Partner.
Mein Mann und ich praktizieren das. Er ist ein Ausnahmevater, finde ich, ich liebe ihn immer mehr, seit ich sehe, welche Qualitäten als Familienmann in ihm stecken. Bärenstärken, Bärenliebe.

Mein Bärenmann regelt den Familienbackground, wenn ich unterwegs bin. Dazu gehört: Abholung vom Kindergarten organisieren oder selbst machen, Kinder zum Sport bringen, Butterbrote schmieren, Zähne nachputzen, Bärchenwurst kaufen, mit dem kranken Hund rausgehen. Mein Mann macht das souverän.

Bridget Schulte sagt, Frauen müssten Männer machen lassen und aushalten, wenn mal was schiefgeht. Bären sind eben auch manchmal unbeholfen – so wie Bärinnen.

Neulich war es fast soweit: Ich fuhr eine Woche auf Dienstreise und als ich in den Zug stieg, stand noch nicht fest, wer unseren Sohn am Nachmittag aus dem Kindergarten holen würde. Mein Mann lebt nach dem Motto „Reicht schon noch“ und war der Meinung: Das klappt schon irgendwie.

Da war es zehn vor acht.

Um fünf vor acht  – und fünf Anrufe bei befreundeten Eltern später – brach meinem Mann der Schweiß aus. Um zehn würde er selbst zur dringenden Firmenkonferenz nach Hamburg fahren und unser fünfjähriger Sohn – so sah es aus – musste sich allein aus dem Kindergarten nach Hause und später ins Bett bringen. „Ich bin gestresst“, simste mein Mann zu mir in den Zug. Ich simste zurück: „Ich jetzt auch“.

Um viertel nach acht klingelte zu Hause das Telefon und eine Kindergartenmutter sagte: „Wir nehmen Maxi heute mit“.

Gerettet. Mich hat das „Abgeben an den Partner“ an jenem Morgen einige Nerven gekostet. Trotzdem bleibe ich auf dem Weg, den Bridget Schulte so klar vorgibt. Und lerne damit, mich auf andere zu verlassen. Auf meinen Mann – das weiß ich – kann ich mich voll und ganz verlassen.

Bei meiner Rückkehr sagte er: „Beim nächsten Mal rufe ich die Babysitter an, lange bevor Du in den Zug steigst. Mindestens am Abend vorher.“
Ich nehme dann vorsorglich eine Baldrian-Tablette, nehme mir vor, nicht wieder „overwhelmed“ zu sein, und vertraue dem Motto meines Mannes: „Reicht schon noch“.

 

 

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