Räume schaffen für die eigene Sensibilität
Anja Grundner ist eine wunderbare Poesiekünstlerin und Texterin aus Wien mit einer Leidenschaft für Kreativität und Ausdruck und beschreibt sich gerne als Vielfühlerin – ganz einfach deshalb, weil sie sehr viel fühlt! Sie sieht vieles, was für andere nicht ersichtlich ist, hört und liest zwischen den Zeilen und spürt das Unausgesprochene.
Inzwischen integriert sie diese Gefühlsintensität in ihren Beruf und leitet Workshops und Retreats, die Menschen dazu inspirieren sollen, wieder mit ihrer eigenen Stimme in Kontakt zu kommen. 2021-2022 besuchte sie meinen Journal Writing Methoden Lehrgang am Institut für Schreibkompetenz in Wien und ist seit 2023 selbständige Journal-Coachin und Poesiekünstlerin. Sie bietet Workshops an Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen an, organisiert und gestaltet Retreats für Frauen, tritt mit Live-Poesie bei öffentlichen und privaten Veranstaltungen auf und entwickelt außerdem textliche Konzepte für Projekte, die einen Mehrwert für Gesellschaft, Umwelt und Soziales bieten.
Liebe Anja, du bietest Journal Schreiben für Vielfühler:innen an. Das klingt ganz wundervoll. Wen hast du dabei im Blick?
Im Grunde alle Menschen. Denn sind wir nicht alle fühlende Wesen? Die einen mehr, die anderen weniger – doch oft liegt das nur daran, dass manche den Zugang zu ihren eigenen Gefühlen verloren haben. Speziell von meinem Angebot angesprochen fühlten sich bislang jedoch vor allem Frauen. Zu meinem ersten vierteiligen Workshop für Vielfühler:innen hatte sich aber auch ein junger Mann angemeldet, worüber ich mich besonders freute. Rückblickend konnte ich feststellen, dass seine Anwesenheit die ansonsten ausschließlich weibliche Gruppe sehr bereicherte. Ich hatte den Eindruck, dass dies auch etwas mit unbewussten Klischees machte: etwa mit der Vorstellung, Männer könnten nicht über ihre Gefühle sprechen oder Frauen seien grundsätzlich sensibler.
Wie bist du auf die Idee gekommen, speziell etwas für Vielfühler:innen anzubieten?
Um ehrlich zu sein, entwickelte sich die Idee aus einem eigenen Bedürfnis heraus: dem Wunsch, Räume zu schaffen, in denen die eigene Sensibilität neugierig erforscht werden kann. In denen ein Dialog mit der eigenen Sensibilität möglich wird – ganz ohne Druck dabei etwas erreichen zu müssen. Das Schreiben eröffnete mir persönlich solche Räume.
Die Erfahrungen und Erkenntnisse, die ich dank dieses regelmäßigen Dialogs auf Papier machen durfte, wollte ich mit anderen Menschen teilen, die sich womöglich nach solchen Räumen sehnen.
Wie war es, als du es zum ersten Mal ausprobiert hast?
Entschleunigend. Bei unserem ersten Zusammentreffen war es mir wichtig, dass alle Teilnehmer:innen in ihrem Tempo ankommen konnten. Die sechs TN:innen kannten einander vorher nicht. Ich empfand diese “Zeit des Ankommens” als sehr wertvoll, da wir Menschen in neuen Umgebungen oft Zeit brauchen, bis sich unser Nervensystem entspannt. Mir war es außerdem wichtig, über die vier Treffen hinweg Impulse zu setzen, die zu einer bewussten Wahrnehmung des eigenen Körpers einladen.
Welche Resonanz hast du bislang bekommen?
Gleich zu Beginn, als ich mit meinem Angebot an die Öffentlichkeit ging, erhielt ich überraschend viele Rückmeldungen zur Titelwahl. Einige fühlten sich auf Social Media direkt angesprochen. Der Begriff „Vielfühler:in“ wurde als wertschätzend und liebevoll wahrgenommen, was neugierig machte. Bei unserem letzten von vier Vielfühler:innen-Journaling-Treffen fragte ich die Teilnehmer:innen, ob es etwas gibt, das sie aus dieser gemeinsamen Zeit für sich mitnehmen möchten. „Ich kann meiner Sensibilität jetzt wieder mehr Vertrauen schenken“, antwortete zum Beispiel eine Teilnehmerin. Eine andere drückte ihre Dankbarkeit für die unterschiedlichen Methoden aus, die wir gemeinsam auf Papier ausprobiert haben.
Was war das Beste daran im Rückblick?
Das Gemeinschaftsgefühl, das mit jedem Schreibimpuls und den anschließenden Austauschrunden wuchs. Als besonders kraftvoll empfand ich die letzte Übung: „Einander den Rücken stärken“. Dafür erhielt jeder Teilnehmer:in ein A4-Blatt, auf dem die anderen aufschreiben sollten: „Was ich dir, lieber Vielfühler / liebe Vielfühlerin, noch sagen möchte …“. Mit gegenseitiger Unterstützung befestigte jeder das Blatt auf dem eigenen Rücken. So konnten wir uns mit herzlichen und stärkenden Botschaften auf den Rücken unserer Journal-Kolleg:innen verewigen.
Was möchtest du noch verändern?
Meiner Planung möchte ich in Zukunft Lücken erlauben. Sodass Raum für intuitive Impulse bleibt, die spontan auftauchen und sich für den Moment stimmig anfühlen.
Hast du für uns eine Beispielanregung …?
„Glaubenssätze 2.0“
Ich bat die Teilnehmer:innen, in sich hineinzuhören und nachzudenken, ob sie in ihrem Leben schon einmal mit Redewendungen, Sprichwörtern oder Aussagen konfrontiert wurden, die Zweifel oder Verunsicherung ausgelöst haben. Womöglich auch solche mit direktem Bezug zur eigenen Sensibilität. Diese schrieben wir dann auf weißes Papier und platzierten sie in der Mitte des Tisches.
Anschließend lud ich die Teilnehmer:innen dazu ein, diese Redewendungen und Aussagen – die sich oft als hinderliche Glaubenssätze festsetzen – umzuschreiben. Dieses Mal jedoch auf buntem Papier. Ich machte daraus eine gemeinsame Gruppenaufgabe, und wir unterstützten uns gegenseitig dabei, die alten und teilweise sogar verletzenden Aussagen in neue, motivierende und ermutigende Glaubenssätze zu verwandeln.
Du weißt vielleicht, dass ich in Worte gegossene Lebensweisheiten liebe. Was wäre eines deiner Lieblingszitate?
Es stammt von Maya Angelou:
„I’ve learned that people will forget what you said, people will forget what you did, but people will never forget how you made them feel.“
Vielen Dank, liebe Anja!
Hast du Lust gemeinsam zu schreiben?
ONLINE: Neujahrs-Schreibcamp 24 - 25
12 Schreibeinladungen & 2 Zoom-Treffen
Bis 31.12 kannst du dich noch anmelden.
Was für ein Jahr! Höchste Zeit, zurück zu blicken, das Schöne zu würdigen und auch das Schwierige. Lass uns ein denkwürdiges Jahr verabschieden und ein neues mit Hoffnung und klarem Fokus willkommen heißen.
Die Live-Workshops haben bereits mehr als zehn Jahre Tradition: Jedes Jahr aufs Neue haben Teilnehmer:innen und ich erlebt, wie wunderbar die „Wünsche in Worte-Methode“ wirkt.
Ich habe sie in „Schreiben zur Selbsthilfe“ (2017, 2022) beschrieben, und sie hat vier Schritte. Und ich lade dich ein sie gemeinsam mit mir und den Teilnehmer:innen zu gehen.
Auf in ein wundervolles neues Jahr!