Die drei täglichen Fragen

Wofür bist Du heute dankbar? Wer war heute Dein Lehrer? Was hast Du heute verschenkt?

Diese drei Fragen – so sagt es ein Büchlein mit buddhistischem Anspruch – sollte man sich täglich stellen, um ein gutes Leben zu führen. Meine erfahrende Freundin G. hat es mir geliehen und so kann ich die erste Frage schon beantworten: Danke, G.!

Mit meinen Kindern frage ich mich manchmal abends, was denn das Schönste am Tag war: Drei Dinge fallen uns meistens ein, wenn Max nicht gerade von der Schaukel gefallen ist oder Carlottas beste Freundin eine neue beste Freundin hat. Letzteres kommt nicht so oft vor und so haben wir oft einen Grund dankbar zu sein. 

Wer war heute mein Lehrer? ist schon schwerer zu beantworten – aber diese Frage liebe ich besonders. Sie öffnet mich für die Erfahrungen anderer Menschen, für ihre einzigartigen Lösungen und ihre Weisheit. Sie lässt wenig Platz für Missgunst und macht viel Platz für persönliche Entwicklung. Die kann manchmal klein ausfallen: Eine Kochlehrerin hat mir beigebracht, auf die „Tiefe“von Speisen zu achten. Darum rühre ich oft einen Fingerhut voll Honig in meine Suppen. Weil die Süße hinten auf der Zunge, tief im Mund, geschmeckt wird, könnte man sagen, es entsteht Tiefe. Mir schmeckt’s.

Ein anderer Lehrer, der mir gestern in meiner Erinnerung begegnet ist, lebt schon nicht mehr. Ich kenne ihn aus dem Studium, damals hat er uns Studenten gesagt: „Manchmal muss man einfach anfangen.“ Es ging um Blockaden bei unseren Schreibprojekten und beim Lernen für Prüfungen.

Seinen Rat habe ich gestern beherzigt, ich habe mein Memoir (eine Autobiografie mit Mitteln des Romans) herausgeholt und begonnen, ein schwieriges Kapitel zu bearbeiten: Es handelt von der Krankheit meiner Mutter und ist sehr traurig. Vier Stunden später (dem Babysitter sei dank) habe ich wieder aufgehört: Glücklich, angefangen zu haben, und auch glücklich über den Text, der mit etwas Abstand ganz gut gelungen ist. Und das Beste: meine Trauer schien einen würdigen Platz gefunden zu haben und war leichter erträglich.

Damit könnte ich vielleicht die letzte Frage beantworten: Was hast Du verschenkt? Gestern habe ich mir selbst etwas geschenkt, ich habe Mut gehabt, anzufangen mit einer Aufgabe, die mir Respekt einflösst. Vielleicht wird das Ergebnis dann irgendwann zu einem Geschenk für andere: Für meine Kinder, die über ihre Oma mehr erfahren, und für Menschen, die andere zu früh an schwere Krankheiten verlieren. Wer weiß …

Auch heute war ich schon dankbar – dafür, dass ich meinem Sohn nicht mehr die Windel wechseln muss – er war gerade allein auf der Toilette. Und er hat mich auch gelehrt, dass gut Dinge Weile braucht, denn auf diesen Entwicklungsschritt haben wir in der Familie ganz schön lang gewartet. Verschenkt habe ich noch nicht soviel heute. Aber der Tag hat ja gerade erst begonnen …  

 

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