Unser Hund Jackie ist 13 Jahre alt, Freunde behaupten gar, sie sei 14. Umgerechnet in ein Menschenalter ist sie also 91 oder gar 98 Jahre alt und gut beieinander. Meistens. Hoffe ich.
Jackie hat mich begleitet, als ich viele, viele Stunden einsam am Schreibtisch verbrachte, um meine Doktorarbeit zu schreiben. Sie war da, als ich mit meinem ersten Kind aus dem Krankenhaus nach Hause kam, und ließ sich klaglos vom zweiten Kind in die Nase beißen, ohne auch nur zu knurren.
Ein Leben ohne Jackie will ich mir gar nicht vorstellen.
Neulich am Strand vergaß sie ihre Arthrose in den Gelenken und ignorierte die schwelende Entzündung in ihrem Bauchraum. Sie japste wie ein Welpe durch die Gischt und fegte schwanzwedelnd über den weißen Sand.
Später zu Hause dann: Blutstropfen neben dem Körbchen. Wieder einmal eine Fahrt in die Tierklinik. „Sie hat Eiter im Milchgewebe“, sagt die Tierärtzin, „wir können auch einen Tumor nicht ausschließen“.
Ich war bei der Untersuchung nicht dabei, sondern auf Dienstreise und wurde von meinem Mann per SMS informiert. Ich wusste sofort: die Nacht würde unruhig werden. Diesmal waren es nicht die vergrippten Kinder, um die ich mich sorgte, jetzt war es das dritte Kind, äh, der Hund, der mich wach halten würde.
Zurück in Bremen erfuhr ich: Eine Biopsie würde zeigen, ob Jackie Krebs hat. Wir sehen davon ab, denn die 91jährige müsste narkotisiert werden, und das ist ein Risiko.
Das waren wir vor ein paar Monaten allerdings eingegangen, da hatten die Ärzte ihr die Gebärmutter heraus operiert und waren erstaunt, wie gut sie sich danach erholte.
Vor wenigen Wochen bekam Jackie beim Gassi-Gehen dann auf einmal Schlagseite, sie fiel einfach hin, ihr Ohr knickte nach links, ihr Kopf blieb ebenfalls links hängen, und die Pupillen in ihren Augen flatterten so schnell hin und her, dass mir ganz irre wurde, wenn ich sie ansah.
„Vielleicht ein geriatrisches Syndrom“ sagte die Tierärztin, nach vier Stunden Warten in der Tierklinik, die sonntags immer gut mit Notfällen gefüllt ist. Ich war erleichtert, denn ich hatte fest mit einem Schlaganfall oder Hirntumor gerechnet. Zwei Pillen morgens und abends eine halbe Stunde vor dem Essen, und seitdem geht Jackie wieder gerade. Sogar das Ohr steht wieder.
Und seit wenigen Tagen hat sie also eine eitrige Entzündung in den Milchdrüsen, wegen der wir alle zwei Tage in die Tierklinik fahren (dafür müssen wir ein Auto mieten und einen Babysitter engagieren oder die Familie mit nehmen.)
Ihr wollt sicher gar nicht wissen, wie teuer wir für das alles bezahlen – von den Nerven und der Zeit, die ein kranker Hund braucht, ganz zu schweigen. (Wer es doch wissen will: Wir reden über drei bis vier Stunden Kümmern täglich und einen vierstelligen Betrag, der wöchentlich ansteigt).
Und wo bleibt der Krankheitsgewinn? Das fragt Ihr Euch spätestens an diesem Punkt – und zurecht. Mit Krankheitsgewinn ist doch meist etwa Zuwendung, Mitleid und eine sozial genehmigte Auszeit gemeint?!
Dennoch dachte ich an eben dieses Wort: Krankheitsgewinn, als ich von der Gartenbank aus mit der Kaffeetasse in der Hand unsere bandagierte Hündin in ihrem Schutzanzug beobachtete, die hingebungsvoll Kopf und Körper im nassen Gras wälzte und sich ganz offensichtlich des Lebens freute. Sie zeigt mir täglich, wie man das Schöne genießt, etwa den leckeren Geruch von streunenden Katzen in unserem Garten, das Kraulen hinter den Ohren, das Leckerli aus meiner Hand, damit die Antibiotika und die Schmerzmittel schmecken.
Es tröstet und gibt Kraft, sich auf die schönen Augenblicke zu konzentrieren, ganz ohne sich um die Gesundheit und das Morgen zu sorgen. Diese Erkenntnis ist mein persönlicher Gewinn aus Jackies Krankheiten.
Sie zeigt mir täglich wie das geht – und das hoffentlich noch sehr, sehr lange.
PS: Oben in unserer Birke zeigte sich heute nach langer Zeit wieder das Eichhörnchen Hansi. Sein braunes Fell glänzte in der Herbstsonne. Ein gutes Omen, finde ich.