Ulla Hahn hatte Frau Peps. Frau Peps hatte immer Zeit, hatte immer ein offenes Ohr, schimpfte nie – im Gegensatz zu anderen Menschen in Ihrer Familie. Und so war Frau Peps für Ulla Hahn im Kindergartenalter eine unentbehrliche Unterstützung, um Widrigkeiten zu überleben und daran vielleicht sogar zu wachsen.
Die Botschaft der positiven Psychologie lautet, dass bei Schicksalsschlägen Entwicklungen angestoßen werden können, die selbst ein Trauma im Rückblick zu einem bedeutungsvollen Teil des Lebens machen können. Doch selbst Jamie Pennebaker, dessen berühmte expressive Schreibmethode auf einen solchen Benefit, einen Nutzen, abzielt, warnt: Ein Trauma kann für uns schlicht sinnentleert, schmerzhaft, zerstörerisch bleiben. Punkt.
Poesie ist mehr als Dichten
Eine Fähigkeit, die dabei helfen kann, dass wir bei Rückschlägen, Enttäuschungen und Belastungen nicht aufgeben, ist die Poetische Kompetenz. Alle, die „Schreiben zur Selbsthilfe“ gelesen haben, kennen meinen Lapsus schon, auf den dieser sperrige Begriff zurückgeht: In einer Einladung der Konrad-Adenauer-Stiftung hatte ich gesehen, was ich sehen wollte, und machte aus einer Tagung für politische Kompetenz eine ebensolche für poetische Kompetenz.
Die Enttäuschung folgte auf dem Fuß, eine solche Tagung für poetische Kompetenz hat es bis heute nicht gegeben, aber zumindest hatte ich ein Wort gefunden, für eine Lebensqualität und Fähigkeit, die mich immer wieder rettet.
„Poetische Kompetenz“ ist die Fähigkeit, der Welt eine neue Dimension abzugewinnen, spielerisch, oft mit Humor und Freude, Fantasie und Offenheit für neue Erfahrungen – besonders wenn es gerade nicht so gut läuft.
Ulla Hahn hatte diese Fähigkeit schon früh entwickelt. Frau Peps, ihre Vertraute, war für sie, was für uns das Journal und Tagebuch ist: eine treue, wohlwollende Freundin. Doch weil sie damals noch nicht schreiben konnte, half Ulla Hahn ihre Phantasie und schuf ihr mit Frau Peps diesen wunderbaren Resonanzraum, den wir vielleicht jeden Morgen im Journal, in den Morgenseiten, in der Musik, im Malen oder auch im Kochen und Backen finden.
Ja, Kochen, Backen und auch Putzen. Poetische Kompetenz ist größer als wir denken.
So meint „Poesie“ im ursprünglichen griechischen Wortsinne „Erschaffung“ und nicht etwa „Gedichte“. Poetisch kann heute auch ein Augenblick sein, während ein perfektes Eclair im Café an der Ecke „ein Gedicht“ sein kann. Jedenfalls ließ sich meine Großmutter gelegentlich zu dieser Wertung hinreißen.
Spielerisch Platz fürs Wesentliche schaffen
Womit ich zu Herrn Schmidt komme. Unlängst durfte ich mit einigen von Euch eine befreiende Journal Woche erleben, die „Platz fürs Wesentliche schaffen“ heißt. Beim Schreiben über meine Prioritäten erkannte ich: Ungeliebte Arbeiten im Haus rauben mir nicht nur Zeit, die ich lieber ins Blog-Schreiben stecke, sondern verderben mir nachhaltig die Laune. Beim Saugen etwa tränen mir die Augen und die Nase läuft – einer Hausstaub-Allergie sei dank. Auch mein Rücken muckt, aus unerfindlichen Gründen haben hunderte von Pilates-Stunden meinen inneren Kern nicht so stabilisiert, dass ich eine gesunde Saug-Haltung einnehmen könnte. Es zwackt hinterher immer.
Kurzum: Ich besann mich auf Frau Peps und auf meine poetische Kompetenz und bestellte in einer überschwänglichen Laune einen dieser neumodischen Saugroboter, die mit großem Getöse solange über Teppiche, Böden, Fliesen, Parkett rollen, bis auch das letzte Staubkorn gestellt und eingesaugt wurde. Jedenfalls stelle ich mir ihre Arbeit gern so effektiv vor, um den Anschaffungspreis zu rechtfertigen.
Ich kann mit Freude berichten: Unser Roboter hat sich bereits jetzt auf ganzer Linie bezahlt gemacht. Die ersten beiden Abende, an denen er im Einsatz war, folgten ihm mein mich liebender Ehemann, mein Sohn und meine Hunde-Dame Frieda auf Schritt und Tritt. Der Abend war unterhaltsamer als jeder Abend mit einem Lieblingsserien-Marathon.
Wir lagen bäuchlings auf dem Sofa und blickten mit baumelnden Köpfen unserem Haushaltsgerät hinterher: Der Roboter ließ keine Ecke ungesaugt. Mein Mann referierte uns technische Details und Feinheiten des Geräts und kommentierte begeistert: „Er hat es über die Türschwelle geschafft“. Mein Sohn bemerkte etwas enttäuscht: „Boah, der fällt ja gar nicht die Treppe runter“. Mein Hund, nun ja, sie „hielt die Schnauze“ und floh ins sichere Körbchen, über dessen hohen Rand ihr unser neuer Bedienster nicht folgen konnte.
Wir haben „Herrn Schmidt“ sehr ins Herz geschlossen und möchten ihn nicht mehr missen. „Lass Herrn Schmidt mal machen“, sagt meine Tochter, wenn Frieda mit schmutzigen Pfoten vom Spaziergang kommt. Und ich freue mich wie ein Kind über jede Mitteilung, die eine Bedienungsapp auf mein Handy-Display schickt, so wie gerade eben. Sie lautet: „Herr Schmidt hat eine Aufgabe erfolgreich abgeschlossen“.
Meine Einladung an Euch: Schreibt fünf bis sieben Minuten über Erfahrungen mit Eurer poetischen Kompetenz, mit spielerischen, erfinderischen, phantasievollen, ungewöhnlichen Interpretationen und Perspektiven, die Eure Welt bunter machen. Habt Ihr eine Frau Peps, einen Herrn Schmidt? Erzählt ihr gern Märchen und Geschichten? Oder vertraut Ihr im Zweifelsfall auf Gedichte wie der Firmen-Berater David Whyte, der Konzernen mit poetischer Sprache zu neuen Lösungen verhilft? Vielleicht habt Ihr eine ganz andere Variante „poetischer Kompetenz“ entfaltet?
Schreibt gern im Kommentar, wie Ihr Eure Tage spielerischer, reicher, tiefer, lebendiger macht?
Wir haben Bruno. Bruno ist ein kleiner dicker Bär mit einem seriösen, freundlichen Bärengesicht und einer farbenfrohen Krawatte. Bruno war jahrelang unser Kassen-Bär. Er hat in der Küche auf der Holzschachtel gesessen, in der wir damals unser Haushaltsgeld aufbewahrt haben. Wir mussten eine Zeit lang sehr auf unser Geld achten und Bruno hat uns dabei geholfen. Wenn wir doch zu viel ausgegeben hatten, hat Bruno eine rote Brille aufgesetzt und wir wussten, für den Rest des Monats müssen wir sehr genau darauf achten, wofür wir Geld ausgeben. Manchmal haben wir bei Ausgaben auch besprochen, was Bruno wohl dazu sagen würde. Manchmal haben wir einfach heimlich etwas ausgegeben und gemeinsam beschlossen, Bruno nichts davon zu erzählen.
Bruno war jetzt ein paar Jahre arbeitslos. Mit deinem Blogbeitrag habe ich mich an ihn erinnert und jetzt hat er einen neuen Job: Business-Bär. Er ist umgezogen und sitzt jetzt auf meinem Schreibtisch. In Zukunft wird er mir bei Aufgaben helfen, die ich nicht so gerne mag. Für mich klingt es jetzt schon viel schöner, wenn ich sage, ich treffe mich mit Bruno anstatt ich muss meine Buchhaltung erledigen. Bruno wird einen Espresso trinken und ich einen Cappuccino und dann werden wir gemeinsam meine Buchhaltung machen.
Vielen Dank für die schöne Schreibanregung.
Herzlichst
Susanne
Liebe Susanne,
ich liebe Deinen Bruno-Bär! Der ist klasse. Darf ich es Dir nachmachen und einen Mahner auf meinen Schreibtisch setzen? Ich brauche dringend Miss Piggy oder Shaun das Schaf, um mich an die ungeliebte Büroarbeit zu erinnern.
Danke vielmals.
Herzlich Birgit