„Maxi hat schon gefrühstückt“, sagte mein Mann heute morgen, „er hat sich japanische Nudelsuppe gemacht“.
„Mir fällt die Kinnlade herunter“, dachte ich. Welches Kind kocht für sich selbst, und noch dazu zum Frühstück? Zu Weihnachten? Und dann noch Japanisch? Was habe ich falsch gemacht?
Ich fühlte mich genauso, wie es die unoriginelle Floskel mit der „Kinnlade“ beschreibt: Fassungslos. Und musste in der Folge gleich mehrere Lektionen lernen.
- Unoriginelle Formulierungen können den Nagel auf den Kopf treffen.
- Meine Kinder werden groß.
- Ich werde alt.
- Oder beides.
Diese Lektionen verdanke ich meinem ausgeprägten Wunschdenken. Als ich vorhin in die Küche kam, sah ich vor meinem sentimentalen inneren Auge die Familie beim Bilderbuch-Weihnachtsfrühstück. Die Kinder hatten den Tisch gedeckt, es gab Rührei und frische Brötchen, der Kaffee duftete und glückliche Kinderaugen sagten Danke für die Schoko-Weihnachtsmänner, die ich zum Naschen auf jeden Teller gestellt hatte.
Pustekuchen. War vielleicht einmal. Wahrscheinlich eh nur in meiner Phantasie.
Wahr dagegen ist: Meine Große schläft bis Mittag, mein Mann hat sich nach seiner Frühschicht (er ist noch im Job-Modus) wieder aufs Sofa gelegt und döst. Und mein Kleiner, seufz, nicht mehr ganz so kleiner Sohn bastelt oben am PC mit seiner neuen Grafik-Zeichen-Software „Mangas“ oder wie die super hippen Comics heute heißen.
Das ist das Problem: Ich selbst bin schon lang nicht mehr hipp.
„Mama weiß nicht mal, was ein ‚meme‘ ist“, beschwerte sich meine Große gestern beim Weihnachtskaffee im engsten Familienkreis – nach acht vorschriftsmäßigen Corona-Schnelltests, versteht sich. Und führte es vor: Allen zeigte sie zwei Fotos auf ihrem Handy und erntete breites Grinsen (von meinem Mann) oder Lachsalven (von den Nichten und meinem Sohn).
Nur ich starrte auf die beiden Bilder, auf denen ein dunkelhaariger cooler Typ (oder was heute dafür gehalten wird) seltsame Gesten vollführte. Ich erspare Euch die Erklärung, es waren halt Bilder, mit Texten versehen, die andere – nicht mich – zum Lachen bringen.
Ich musste mir eingestehen: Es ist mir zu mühsam, all die wechselnden Phänomene zu begreifen, die das Internetpublikum für ein paar Wochen oder Monate verzückt. Meine Zeit stecke ich lieber in die Lektüre von Weihnachtsgeschichten wie jene von Robert Gernhardt oder Paul Auster. Ich suche Weihnachtslieder heraus, die ich auf dem Klavier einübe, und ich freue mich darauf zu heulen, wenn meine Tochter „Maria durch ein Dornwald ging“ singt.
Doch sie singt nicht. Und vierhändig Klavier spielen will sie auch nicht. „Ach nöö, Mama.“
Noch schlimmer sind ihre Blicke, mit denen sie meinen Lieblingsritualen eine Absage erteilt. Sie sind so nuanciert und treffsicher wie früher mal Texte in der Titanic. Beim Weihnachtskaffee gestern gönnte sie mir nur einen winzigen mitleidigen Augenaufschlag. Den Blick verstand ich sofort.
„Meme sind wie Parodien“, versuchte ich meine Ehre als moderne Mutter zu retten. „Nein, absolut nicht“, mein Mann schaute beinahe ebenso mitleidig auf mich wie meine Tochter. „Wenn Du parodierst, veränderst Du etwas, was schon besteht. Memes machen ein Statement und nutzen dazu Worte, Inszenierungen und Fotos.“
Wieder was gelernt. Ich fühlte mich ein bisschen schlauer. Für drei Minuten. Dann gestikulierte mein Sohn und meine Tochter kreischte, schließlich gab sie ihm einen kleinen Klapps auf den Arm. Ihr Blick sagte alles: „Das ist ein Spiel, Mama. Kennst Du nicht.“
„Kenn ich“, sagte Linnie, meine Nichte. „Haben wir bei uns früher auch gemacht.“
„Früher?“, zweifelte ich, „im Kindergarten?“
„In der Grundschule“, sagten meine Nichte und mein Sohn aus einem Munde. Sie sind elf.
Und müssen noch viel lernen. Ebenso wie ich.
PS: Heute startet das Schreibcamp mit einem Rückblick auf das Jahr 2020. In meiner Zeitkapsel spielen meine Kinder eine große Rolle. Sie spornen mich an, mit Bedacht dazu zu lernen. Was sind Eure wichtigsten Lektionen des ausgehenden Jahres?
Schreib mir gern einen Kommentar – oder kommt ins Schreibcamp und tauscht Euch aus!