„Wenn Lehrer nerven – was Eltern tun können“

Die Soziologin Rosa Jiménez-Claussen hat als Mutter, Lehrerin und Elternvertreterin einen viel-perspektivischen Ratgeber geschrieben. Lest selbst, was sie zum Buch motiviert hat und welche Ideen sie für einen entspannteren Umgang mit Schule entwickelt …  

Birgit:

Über Dein Buch “ Wenn Lehrer nerven – was Eltern tun können“ werden sich sicher viele Eltern freuen. Endlich gibt es einen Ratgeber für alle Mütter und Väter, die ihre Kinder in ihrer Schullaufbahn unterstützten wollen. Wie bist Du auf dieses Thema gekommen?

Rosa:

Mich haben die Lehrerinnen und Lehrer meiner Kinder häufig genervt. Als ich dann in Bremen an derselben Schule, an der mein ältester Sohn zur Schule ging, mein Referendariat begonnen habe, konnte ich schnell viele Abläufe und Missverständnisse zwischen Eltern und Lehrkräften verstehen. Dann merkte ich, dass uns Eltern vieles, was in der Schule passiert, nicht erklärt wird. Viele Missverständnisse ließen sich vermeiden, wenn man Eltern die vorhandenen Strukturen besser erläutern würde. Zum Teil werden Umstände auch verschwiegen, weil alle Schulleiter möchten, dass sich möglichst viele Schülerinnen und Schüler an ihren Schulen anmelden. Die Konkurrenz unter den Schulen ist groß.

Birgit:

Wer ein Buch schreibt, braucht viel Motivation und Durchhalte-Willen. Du musstest Dir als Lehrerin und Mutter nach der Arbeit noch Zeit abknapsen. Wie hast Du das geschafft?

Rosa:

Mit viel Kaffee, viel Tanzen und einem verständnisvollen Ehemann. Mein Alltag als Mutter und Lehrerin hat mich jeden Tag darin bestätigt, dass ein solcher Ratgeber hilfreich sein könnte. Und die Schreibcoachings bei Dir haben mir geholfen, an dem Buch dranzubleiben.

Birgit:

Du bist Mutter, warst Elternsprecherin und bist Lehrerin für Geschichte und Spanisch. Mit wem hast Du Dich beim Schreiben mehr identifizieren können – den Eltern oder Lehrern?

Rosa:

Zunächst einmal war meine Identifikation als Mutter stärker, da ich mit der Mutterperspektive in den Lehrerberuf gegangen bin. Heute identifiziere ich mich mit beiden Seiten. Wenn Kolleginnen und Kollegen auf Eltern schimpfen, dann versuche ich oft zu erklären, wie Eltern eine Aussage oder einen Brief gemeint haben könnten.

Wenn Eltern über Lehrerinnen und Lehrer schimpfen, dann versuche ich ihnen auch zu erklären, warum eine Lehrerin vermutlich so gehandelt hat und wie es mit den Arbeitsbedingungen von Lehrkräften zusammenhängen könnte.

Allerdings finde ich immer noch, dass vielen Lehrkräften die Empathie für Familien, die nicht der gesellschaftlichen Mittelschicht angehören, fehlt. Ich bin selbst ein sogenanntes Arbeiter- und Ausländerkind. Ich sehe bei Schülerinnen und Schülern aus eingewanderten und ökonomisch benachteiligten Familien auch die Potentiale. Ich weiß, dass sie nicht nur besonders gefördert, sondern auch besonders ermutigt werden müssen.

Birgit:

Wer sollte Dein Buch lesen?

Rosa:

Das Buch habe ich erstens für Eltern geschrieben, die sich für ihre Kinder und deren Schulleben engagieren möchten. Es ist auch für Eltern, die sich manchmal zu viel für ihre Kinder engagieren, so wie auch ich es getan habe. Ich empfehle Vätern und Müttern, den Schulalltag ihrer Kinder immer mehr als Komödie und nicht als Drama zu sehen und über die Lehrer und sich selbst zu lachen.
Praktisch schlage ich geistige „Lockerungsübungen“ vor. Wenn Eltern zum Beispiel denken „Abitur kann mein Kind noch später machen“ oder „Hauptsache, unser Kind ist glücklich“, dann hilft das auch ihren Kindern in der Schule. Außerdem können von dem Buch die Referendare und Referendarinnen profitieren. Lehrer interessieren sich sowieso nur für dieses Buch, wenn sie in der Lage sind, ihre berufliche Tätigkeit zu hinterfragen. Schülerinnen und Schülern hilft das Buch wohl indirekt, indem ihre Eltern gelassener werden können.

Birgit:

Beim Schreiben bringst Du viel Verständnis für die Nöte von Eltern und Schüler auf. Aber Du appellierst auch an ihre Verantwortung: „Wenn Sie gute Elternsprecher haben möchten, dann lassen Sie sich selbst wählen, …“, aber eben nur, „wenn Sie bereit sind, sich für das Amt etwas Zeit zu nehmen“. Gibt es Tipps aus Deiner Perspektive als Elternsprecherin, die Du ja auch mal warst?

Rosa:

Elternsprecher sollten sich über ihre Rechte informieren, notfalls über entsprechende Seiten im Internet. An Schulen gibt es oft wenig Interesse daran, aktive Elternsprecher zu gewinnen. Gut ist es, wenn Elternsprecherinnen zu geselligen Treffen einer Klasse einladen, so dass im besten Fall eine Gemeinschaft entstehen kann. Dann sollten Elternsprecher Beiratssitzungen nutzen, um Kritik, Fragen und Lob vorzubringen oder Veränderungen einzufordern. Das Wichtigste dabei ist der Informationsfluss, also dass die Eltern der Klasse zeitnah über Themen und Ergebnisse der Sitzungen Bescheid wissen. Elternsprecher sind das Bindeglied zwischen den Eltern und den Lehrern. Und ihre Arbeit kann richtig Spaß machen, wenn der Zusammenhalt stimmt.

Birgit:

Auf der anderen Seite weißt Du aus eigener Erfahrung, dass Lehrer in einem Geflecht von Anweisungen funktionieren müssen, dass sie mit schwierigen Kollegien und wechselnden Plänen zu Recht kommen müssen. Sollten Eltern mehr Verständnis entwickeln?

Rosa:

Ich plädiere für beides. Eltern sollten Lehrer nicht als „faul“ beschimpfen, sondern sehen, wie sie für ihre Kinder arbeiten. Damit einhergehen könnte, dass Lehrkräfte von Eltern häufiger gelobt werden. An meiner Schule ist das der Fall und so etwas motiviert.
Wenn häufig Unterricht ausfällt und keine Vertretung eingesetzt wird, dann sollten sich Eltern im Interesse ihrer Kinder beschweren. Am wirkungsvollsten ist es, wenn Eltern mit der Schulleitung zusammenarbeiten, und sich bei den Bildungsbehörden und Politikern gemeinsam gegen Ausfälle einsetzen.

Wenn Kinder über Lehrerinnen und Lehrer meckern, dann sollten die Eltern erst einmal abwarten, ob sich die Meinung ihrer Kinder noch ändert. Lehrer und Schüler haben immer eine Beziehung, die erst einmal aufgebaut werden muss, und da kann es eben auch einmal gute und schlechte Phasen geben.

Birgit:

Gibt es eine Situation, in der es sich auf jeden Fall lohnt, mit Lehrern in den Clinch zu gehen? Wo Eltern nicht kneifen dürfen und ihre Stimme erheben sollten?

Rosa:

Ja, es gibt es immer noch viele Situationen, in denen Eltern sich für ihre Kinder einsetzen sollten. Wenn die Klagen über einen Lehrer oder eine Lehrerin auch nach etwa zwei Monaten nicht nachlassen, die Mehrheit der Schüler in der Klasse die Hausaufgaben als zu viel empfindet, der Unterrichtsstoff oder die Benotung für die meisten Schüler einer Klasse nicht verständlich sind, sich ein Lehrer gegenüber Schülern oder Eltern herablassend äußert oder wenn er gar gegenüber Schülerinnen oder Schülern körperlich übergriffig wird, dann sollten Eltern sich für ihre Kinder einsetzen.

Dabei ist es immer am besten, das eigene Kind erst einmal zu ermutigen, selbst mit dem Lehrer zu sprechen. Ist die ganze Klasse betroffen, so ist es am effektivsten, wenn mehrere Schüler aus der Klasse sich beim Lehrer beschweren. Nur wenn die Kinder und Jugendlichen sich nicht trauen oder von dem Lehrer nicht gehört werden, sollten sich Eltern für ihre Kinder an der Schule einsetzen. So lernen Kinder am besten, sich später selbst für ihre Interessen einzusetzen.

Birgit:

Du hast als Mutter festgestellt: Schlechte Erfahrungen aus der eigenen Schulzeit können das heutige Verhältnis zu den eigenen Kindern und zu ihren Lehrern belasten. Was können Eltern tun, um offen zu bleiben für die heutigen Erfahrungen an Schulen?

Rosa:

Schule funktioniert heute ganz anders als früher und auch die Schüler-Lehrer-Beziehung ist zum Glück eine andere. Eltern sollten sich immer wieder sagen, dass ihre Erfahrungen mit der Schule der Vergangenheit angehören. Man kann sein Kind in seinen schulischen Nöten nur ernst nehmen, wenn man es nicht durch die ‚Brille‘ seiner eigenen Schulprobleme sieht.

Birgit:

Es ist ein sehr persönliches Buch geworden. Außerdem erfahren Leser so einiges über Deine Familie: Wie reagieren Deine Kinder darauf? Fühlen Sie sich richtig dargestellt?

Rosa:

Unsere Kinder haben darauf kreativ reagiert. In den Sommerferien haben sie einander Passagen aus dem Buch vorgelesen, und dann jeweils über das Geschwisterkind Sätze dazu erfunden, die ich gar nicht geschrieben habe. Dabei haben sie maßlos übertrieben und sich jedes Mal kaputtgelacht.
Unser zwölfjähriger Sohn meinte außerdem, es wäre besser gewesen, wenn ich „so ein Buch wie Harry Potter oder so“ geschrieben hätte. Erstens wäre das cooler und zweitens wären wir dann reich.

Birgit:

Spielt es für Dein Buch eine Rolle, dass es von Dir, einer Lehrerin UND Soziologin, geschrieben wurde?

Rosa:

Ja! Als Soziologin interessieren mich bis heute mehr die ungeschriebenen Regeln als die vielen Verordnungen auf dem Papier. Alles ist in der Schule geregelt, aber was machen die Akteure und Akteurinnen daraus?
Für mich als Ethnographin war die Schule darum anfangs ein Forschungs-Biotop; ich kam täglich mit einer neuen Frage nachhause:
Welche Kollegin lässt wen am Kopierer vor und wen nicht?
Wann sind die Schüler frech zu mir und warum?
Wann und warum eskaliert es im Klassenzimmer oder auf dem Schulhof?
Noch immer ist jeder Tag in der Schule das pure Abenteuer, und das macht mir Spaß.

Birgit:

Was wünscht Du Dir für Dein Buch?

Rosa:

Ich wünsche mir, dass viele Eltern von meinen Erfahrungen profitieren. Ich würde auch gern dazu beitragen, dass man sich in der Öffentlichkeit und in Lehrerzimmern nicht mehr über besorgte Eltern lustig macht, sondern ihre Sorgen ernst nimmt. Und natürlich wünsche ich mir, dass Eltern und Lehrer sich gegenseitig besser verstehen können.

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