Eine Frage der Perspektive

Kennt Ihr diese Tage: Es scheint die Sonne, die Vögel zwitschern, alles ist gut und dann fragt Euch jemand Achtjähriges (oder so), wann Ihr denn zu sterben gedenkt, wo Ihr danach hingeht und ob das alles bald sei?

Existenzielle Fragen wie diese begleiteten mich am vergangenen Wochenende: Ich recherchiere gerade für einen Artikel zum Thema „Spontanremissionen bei Krebs“ und folgte auf einer Tagung Vorträgen über Salutogenese. Es ging also um die Frage, wie erkrankte – und gesunde – Menschen ihre Überlebenschancen erhöhen und ihre Lebensqualität verbessern können.

Und – oh Wunder – neben mediterraner Ernährung und dreieinhalb Stunden Sport die Woche, dazu wenig chronischer Stress (also weniger Cortisol), mehr Meditation und Achtsamkeit – gilt als ein salutogener Faktor: Mit Ängsten umgehen zu lernen.

Das ist keine leichte Aufgabe, denn wer an Krebs erkrankt, gerät zunächst fast immer in  Panik, das Leben gerät von einer Minute zur anderen aus den Fugen, Ängste können unkontrollierbar werden.

Man weiß ja, dass Krebs die zweithäufigste Todesursache ist und dass jeder vierte oder fünfte Deutsche eine Krebsgeschichte zu erzählen hat. Solche Informationen nehmen Menschen die Hoffnung und können wie ein Nocebo wirken. Das ist das Gegenteil eines Placebos, nur dass im Falle eines Nocebos eine wirkungslose Substanz eine Wirkung entfaltet – und zwar eine äußerst negative.

Natürlich werde ich als Schreibende und als Coach, die Worte zur Heilung und Entwicklung einsetzt, an dieser Stelle hellhörig. Was sind das für Worte, die zu Nocebos werden können. Welche Informationen, Tonlagen, Aussagen können Menschen tiefgreifend schädigen?

Wir alle kennen zum Beispiel die Beipackzettel von Medikamenten. Wenn man über mögliche Nebenwirkungen liest, geht es einem fast unweigerlich schlecht. Und dann sind da die vielleicht wohl gemeinten, aber fatalen Worte, die ein Arzt sprechen kann: „Das sieht aber leider gar nicht gut für sie aus. Da müssen wir ganz schnell handeln.“ Oder gar: „Sie haben nur noch X Wochen oder Monate, regeln Sie besser Ihre Angelegenheiten.“

Wie gut tut es dagegen zu hören, dass mittlerweile fast jeder zweite Krebspatient gute Heilungschancen hat. Und das es tatsächlich von sich aus schrumpfende Tumore, günstige Verläufe und spontane Heilungen gibt. 

Ein Hamburger Architekt berichtete beispielsweise von seiner Prostata-Krebs-Diagnose, die ihm sein Arzt vor zwanzig Jahren gab: Er müsse sich ganz schnell operieren lassen, sonst habe er keine Chance. Doch der Patient verzichtete auf die Behandlung und lebt noch heute. Jetzt verwandelt er seine Emotionen in Kunst, er musiziert und spricht über seine Erlebnisse auf Tagungen wie jener in Hamburg.

Ein Chirurg im Seniorenalter erzählte, dass er vor drei Jahren Lungenkrebs hatte und seine Ärzte ihm noch höchstens ein halbes Jahr gaben. Er verkaufte sein Auto, überschrieb Haus und Hof seiner Frau und machte sich zum Sterben bereit. Doch der Tumor in der Lunge bildete sich zurück und jetzt stand er da in Hamburg am Rednerpult, um davon zu erzählen.

Geschichten wie diese machen Mut und werden damit zum wirksamsten Placebo, den man sich vorstellen kann: zur Hoffnung. Informationen darüber, dass es Spontanremissionen gibt, vervollständigen außerdem das Bild, das wir uns vom Krebs machen. Und auch das kann die Angst mindern.

Menschen, die Remissionen oder gar Heilung erleben, verändern vielleicht ihre Ernährung oder treiben mehr Sport und verbessern oder verlängern dadurch ihr Leben. Vor allem aber überprüfen sie ihre Prioritäten, sie werden dankbarer, aufmerksamer. Und das an jedem einzelnen Tag.

Man könnte dies als heilsamen Perspektivwechsel bezeichnen, der auch einer der magischen Wirkstoffe des Schreibens ist (siehe Schreiben zur Selbsthilfe, Springer 2017). Mich hat die Tagung jedenfalls dazu bewogen, mir abends im Journal wieder drei heilsame Fragen zu stellen:

  1. Wofür bin ich dankbar?
  2. Wer war heute mein Lehrer*in?
  3. Was habe ich heute verschenkt?

Für mich als Hundefan ist das im Augenblick der geeignete Weg, Snoopys Weisheit (siehe Bild zu folgen): Denn um die Frage vom Anfang dieses Blogbeitrags zu beantworten: Ich weiß, dass ich eines Tages sterbe. Aber an allen anderen Tagen lebe ich – und das so gut und erfüllt, wie es geht.

Und das wünsche ich Euch auch von Herzen!

 

 

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