Das Gelbe vom Ei

Wir entscheiden uns täglich für unzählige Dinge. Jede dieser Entscheidungen ist von etwas beeinflusst, von dem wir keine Ahnung haben. Wir werden manipuliert, von Werbung, Träumen, unserem eigenen Unbewussten.

Birgit chillt nichtsahnend am Strand

Keine Sorge, die Frage danach, ob der freie Wille existiert, will ich hier nicht stellen.

Es geht vielmehr um eine niedliche, ungefährliche Manipulation, die ich neulich erlebt habe und die „nudging“ genannt wird. Nudging meint, dass wir in eine Richtung gestuppst werden oder uns selbst in eine Richtung stupsen.

Darüber las ich vor ein paar Wochen in „Die Zeit“, in einem Interview mit der Psychologin Eva Krockow. Sie glaubt, Nudging funktioniere sogar, wenn wir wüssten, dass es passiere.

Als Journal Schreiberin wurde ich hellhörig. Bemühe ich mich doch täglich beim Schreiben, mich in eine Richtung zu stupsen, die mir gut tut und möglichst auch meiner Mitwelt zugute kommt. Das ist für mich Wohlschreiben: Dabei übe ich mich darin, mir und anderen gegenüber wohlwollend zu sein, auf mich acht zu geben, mir zu verzeihen, wenn ich menschlich bin und Fehler mache. In diese Richtung versuche ich mich beim Schreiben zu lenken. Sprich: Es ist das pure Selbst-Nudging. 

Frühstück in der Villa Marie auf Wooge

Neulich aber, beim Geschichtenworkshop auf Wangerooge, konnte von Selbst-Nudging keine Rede sein. ich wurde wie ferngesteuert zu einer Handlung motiviert, die ich mir nicht bewusst ausgesucht hatte.

Ich logierte in meiner Lieblingspension. Wie immer hatte ich das Zimmer nach hinten, gegenüber der Wäschekammer, in der gemächlich und ganztägig Maschine und Trockner laufen, aber dank dicker Wände nicht bis in mein Zimmer tönen. Der Blick aus dem Fenster zeigt mir ein paar blaue Gästefahrräder vom örtlichen Verleih, den braunen, efeuberankten Lattenzaum sowie Zweige alter Bäume aus dem Park nebenan.

Mein Zimmer ist eine Oase der Ruhe: Kaum ein Mensch läuft am Fenster vorbei, Eismaschinen, Fahrstühle oder gar Abluftanlagen gibt es hier nicht, die in großen Hotels manchmal den Schlaf stören können. Ich entspanne und schlafe tief und fest.

Doch diesmal leider nicht sehr lang. Jeden Morgen um halb sechs tönte ausdauerndes „Kikeri“ von draußen, wo eigentlich ungenutzte Fahrräder und ein nutztierloser Park sein sollten.

„Selbsterkenntnis ist noch viel
besser als das Gelbe vom Ei.“

Birgit auf Wangerooge

Abends nach dem Workshop, wenn ich die Pensionsbesitzer hätte fragen können, hatte ich die Störung bereits vergessen, bis zum nächsten Morgen, an dem wieder ein lautes „Kikeri“ das Ende meiner Träume markierte.

Am dritten Workshoptag, dem Sonntag, frühstückte ich ein Ei. Das ist für viele Menschen Routine, zumal sonntags. Doch mein letztes Frühstücksei liegt über ein Jahr zurück oder länger, ich stehe einfach nicht so auf die Klopf- oder Köpf-das-Ei-Routine. Außerdem kann kaum jemand ein gescheites Fünf-Minuten-Ei zubereiten, wobei das Weiße hart, der äußere Rand vom Gelben Substanz hat und die Mitte des Eis noch flüssig ist.

Als ich zum Strand und zum Workshop radelte, schüttelte ich den Kopf über mich. Ihr kennt die Lösung des Rätsels natürlich schon, die ich erst an diesem Abend erkannte. Und zwar in dem Augenblick, als ich mein Fahrrad vor meinem Zimmerfenster vorbei hinters Haus schob und mein Blick auf den Schuppen fiel, genauer auf das Fenster, hinter dem all die Jahre Gerätschaften gelagert hatten.

Neue Mitbewohner:innen in der Villa Marie

Drei Augenpaare erwiderten meinen Blick. Drei Köpfe zuckten, als ich abstieg. Und dann fiel endlich der Groschen (= alte Währung, heute zehn Cent 😊 ). Neben mir logierten diverse Hühner und ein prächtiger Hahn!

Sie waren es, die mich zum meinem ersten Ei seit Ewigkeiten nudgten.

Was soll ich sagen: Ich bereue nichts. Es war köstlich.

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