„Blöde Idee“

dachte ich gestern, als mein Sohn mir eröffnete, im Zuge der Fastenzeit auf Gesellschaftsspiele verzichten zu wollen. Also auf jene analogen Zeitvertreibe, die Familien an einen Tisch bringen, Sechsjährige vom Computerspielen fern halten, ihre vier Jahre älteren Schwestern davon abhalten, einen neuen Streit anzuzetteln, und – je nach Art des Spiels – auch noch Geduld, Strategie, Sprachvermögen schulen (ich weiß, Frau sollte nicht alles glauben, was auf der Verpackung steht).

Im Prinzip ist gegen einen guten Vorsatz in der Fastenzeit nichts einzuwenden. Auf Plastik als Verpackung zu verzichten zum Beispiel – ein Ding der Unmöglichkeit, wie ich feststellen musste, aber gut für die Umwelt.

Ich selbst fühlte mich dies Jahr angesprochen, als in einer Zeit-Beilage vorgeschlagen wurde, bis Ostern auf Selbstabwertungen zu verzichten und sich einfach schön zu fühlen. Super, da mach ich mit, dachte ich mir.

Dann lauschte ich nach innen:  In meinem Kopf wohnt ein Dressman (kein Model) mit einem IQ von 200, der außerdem die Nachhaltigkeit erfunden hat und neben seinem 90-Stunden-Job auch noch täglich drei Stunden meditiert und mit den Kindern umgeht wie die Supernanny. Und er kommentiert beständig meine Alltagsperformance.

Allein, diese Ansprüche zu bemerken, sie zu notieren und zu hinterfragen, war äußerst erhellend.

Schon mein müdes Morgengesicht im Spiegel ist für meinen Mitbewohner kritikwürdig: „Na, wohl wieder zu lange Netflix geguckt? Du weißt doch, dass Mitteleuropäer durchschnittlich 7,5 Stunden Schlaf brauchen,  zu festen Zeiten ins Bett gehen und aufstehen sollten. Dann sieh mal zu, wie Du Dein Pensum heute schaffst.“

Nach meiner ersten Begegnung mit meinem inneren Kritiker waren meine Tage mit hitzigen  Dialogen gefüllt. Ich erspare Euch die Etappen, die auf meinen Morgenseiten protokolliert sind, und präsentiere das Ergebnis, das ich ihm nun zurufe, sobald er sich meldet: „Shut up“. Das tut er tatsächlich – denn er ist ja auch sozial kompetent.

Mein kategorisches „Schluss jetzt“, entspricht zwar nicht dem Prinzip von Mindfulness – wahrnehmen und akzeptieren, was ist –  aber es tut mir gut.
„Guten Morgen, meine Schöne, was kann ich heute tun, damit es Dir gut geht?“, hat definitiv Potenzial.

Jetzt, da mein Dressman die Bühne manchmal frei räumt, haben andere innere Stimmen ihren Auftritt: Warmherzige Frauen loben meine tolle weibliche Figur, freundliche Männer bewundern meinen eleganten Schwimmstil, und ich selbst sage zu meiner Arbeit: „Well done“ – und meine nicht das Steak in der Pfanne.

Bis Ostern haben diese Figuren noch freie Bahn. Ich überlege aber, ihren Vertrag auf meiner inneren Bühne auf unbegrenzte Zeit zu verlängern und dem Dressman einen neuen Job zu besorgen.
Ich vermute, die Gewerkschaft der inneren Kritiker wird dem nicht kampflos zustimmen.

Auf dem familiären Feld gibt es indes Entwarnung: Die Kindergarten-Kinder sollen nur eine Woche auf eine Gewohnheit verzichten, die sie lieben. Am nächsten Sonntag kann ich also „Ubongo“,  die „Siedler von Catan“ und „Pantomime“  wieder aus dem Schrank holen – und neben meinem inneren Frieden erhält auch der familiäre wieder eine Chance.

 

 

 

 

0 Kommentare zu „„Blöde Idee““

  1. Der sozial kompetente innere Dressman – herr-lich! Wenn er nochmals auftaucht, nimm ihn wieder mit in den Text, ich freu mich schon drauf!
    Liebe Grüße
    Brigitte

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