„Ploppen“ – oder so ähnlich

„Was tust Du?“, ratlos sah mich mein ansonsten gut informierter Ehemann an: „Du willst ploppen gehen?“ Ich korrigierte: „Ich gehe zum P L O T T E N. Das bedeutet, eine Struktur, einen Aufbau, „das Skelett einer Story“ zu entwerfen.“ Und darum würde es in Anke Fischers Workshop gehen, zu dem ich mich neugierig angemeldet hatte.

Als poesietherapeutisch ausgebildete Schreiberin brachte ich einige Skepsis mit: Beim Schreiben, wie ich es vermittle, geht es als erstes darum, Modelle, Vorgaben, Regeln und Tadel („Thema verfehlt“) hinter uns zu lassen, die verhindern, dass wir überhaupt mit dem Schreiben anfangen. Am stärksten behindern uns oft eigene innere Stimmen, Perfektionismus, aber auch Stimmen früherer Lehrer oder Kursleiter. Diese Quälgeister verstummen meist, wenn wir im Freewriting innerhalb eines Zeitrahmens von fünf, zehn, 25 oder auch 40 Minuten schreiben, ohne auf Rechtschreibung und Grammatik zu achten.

Mit dieser Technik kommen wir in Schreibfluss und schwimmen unserem inneren Zensor davon.

Der Schreibfluss trocknet dagegen rasend schnell aus, wenn wir schon zu Beginn auf das Endergebnis schielen. Das zeigt die Erfahrung vieler Menschen, die autobiografisch schreiben. Der Grund: Wir müssen unsere Geschichten, unsere Wahrheiten und Perspektiven erst entwickeln – und zwar indem wir schreiben, ohne zu wissen, wo es genau hinführt. Und auch so manche Szene unserer Vergangenheit taucht erst beim freien Schreiben auf und lässt sich dann in die Lebensgeschichte integrieren.

Doch für fast alle, die länger autobiografisch Schreiben, kommt der Punkt, an dem sie ihre Erinnerungen und fiktiven Geschichten zuverlässig aus der Versenkung gehoben haben und ihnen eine Form geben wollen. Das kann eine Kurzgeschichte, ein Roman oder auch ein Memoir sein, die neue Form der Autobiografie, die in den USA selbst zu eine Erfolgsgeschichte geworden ist.

Und dafür liefern dann Plotting-Experten die Konzepte.

Also, Freitag, 18 Uhr, sitze ich im Plotting-Kurs. Anke erklärt: „Als erstes klären wir das Genre.“ Das heißt, Schreiben wir einen Krimi, einen Entwicklungsroman, eine Liebesgeschichte, einen Fantasyroman ein Märchen, einen historischen Roman …?

Am ältesten, so lernen wir weiter, ist die Drei-Akt-Struktur, schon im antiken Drama kannte man diese Einteilung, die später dann aufgefächert wurde in Fünf- und Sieben-Akt-Strukturen. Wichtige Stationen sind: Exposition von Motiven und Figuren – Hauptteil mit Tiefpunkt und Höhepunkt – Auflösung und Climax, der Punkt, an dem die HeldInnen sich mehr oder weniger erfolgreich entwickelt haben.

Daneben gibt es Vierakter, darunter das Modell von Lester Dents aus den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, bei dem die Cliffhanger am Ende jedes Teils für thrillermäßige Spannung sorgen sollen. Oder aber die aufwändige, spannende Snowflake-Methode, bei der man gefühlte zwei bis drei Monate plottet, bevor man endlich die Rohfassung schreibt. Dann aber – so versprechen Anhänger der Methode – ist man mit dem Roman so gut wie fertig. Und schließlich gibt es die berühmte Heldenreise von Campbell, die mindestens ein Dutzend Etappen hat und bei der Heldin oder Held positiv verändert an ihrem Ziel ankommt.

Ein scheinbar kleiner, handwerklicher Schritt, den Anke uns vorstellte, kam mir als  Memoir-Schreiberin besonders bekannt vor – der erste  von vielen parallelen Arbeitsschritten. An dieser zentralen Stelle der Buchplanung formulieren wir Thema und These unserer Geschichte – beim Memoir wie beim Roman.

Hier wie dort formulieren wir zunächst unser Thema oder das Motiv: Geht es um Liebe, um ein Verbrechen, um Verlust, Entfremdung, Vertrauen oder Rache? Im Memoir geht es neben diesen Motiven immer auch um Identitätsentwicklung – denn die zentrale Frage ist: Wer waren wir, was wollten wir, welche inneren und äußeren Hindernissen mussten wir überwinden, und wer sind wir heute?

Die Ähnlichkeiten beim Memoir- und Romanschreiben beruhen auf der Nähe der Genres: Ist doch das Memoir eine neue Form der Autobiografie, die mit Mitteln des Romans geschrieben wird. Und dabei können autobiografisch Schreibende natürlich von den klassischen Modellen profitieren. Nicht nur, weil sie sich in der Literatur seit Jahrhunderten finden lassen, sondern vor allem, weil wir die Erzählstrukturen schon als Kleinkind erlernen.

Wir haben, so sagen narrative Psychologen, eine narrative Identität: Mit vier Jahren haben wir es schon drauf, eigene Stories zu erzählen. Wir lernen die Zutaten dafür etwa in den Märchen der Gebrüder Grimm kennen und rekapitulieren sie als Erwachsene wöchentlich beim Tatort im Ersten (spezielle Fünf-Akt-Struktur) oder bei Rosamunde Pilcher im Konkurrenzprogramm (ganz klar eine Drei-Akt-Struktur, sagt Anke).

Beim Romanschreiben geht es als nächstes darum, eine Prämisse zu formulieren, „eine Feststellung dessen, was mit den Figuren als Ergebnis des zentralen Konflikts der Geschichte passiert“ (James N. Frey). Bei Romeo und Julia laute die Prämisse also etwa: „Liebe zwischen verfeindeten Familien führt zum Untergang“, erklärte Anke.

Analog dazu gibt es beim Memoir-Schreiben einen Schritt, bei dem wir die Leitformel für die eigene Geschichte zu finden: „Dies ist die Geschichte von Y (großes Thema), und sie wird illustriert durch X (eigene, spezifische Erfahrung mit dem Thema).“
 So eine Formel wirkt laut Marion Roach Smith (Das Memoir Project) beim Schreiben wie ein Kompass. Hätten Romeo und Julia nach ihrem Tod ein Memoir geschrieben, könnte ich mir etwa folgende Formel vorstellen: „Dies ist die tragische Geschichte einer unmöglichen Liebe, die tödlich endet, und sie wird illustriert durch Romeo und Julia, die an den Abgründen scheitern, die sich zwischen ihren verfeindeten Familien auftun.“

Mit der Formel von Roach Smith haben wir als Memoirschreiberinnen dann ein Werkzeug, mit dem wir aus unseren Erinnerungen diejenigen auswählen können, über die wir schreiben sollten. Statt in Details und Unwichtigem zu versinken, finden wir also das große, vielleicht universelle Thema unserer persönlichen Geschichte und illustrieren es dann mit aussagekräftigen Szenen, Episoden, Phasen unseres Lebens.

Tristine Rainer empfiehlt Memoir-Autorinnen und Autoren, vor dem Formel-Finden noch die Stepping-Stone-Methode anzuwenden: Dazu gehört, Schlüsselereignisse des Lebens aufzulisten, zentrale Motive zu finden und Hindernisse zu identifizieren, auf die wir bei der Realisisierung unserer Ziele gestoßen sind.

In meinen eigenen Kursen empfehle ich, schon früh eine Art Klappentext für das eigene Memoir zu schreiben. Darin müssen wir die Geschichte vorläufig umreißen und unsere Haltung zum Thema offenbaren. Der Vorteil gegenüber dem Formelsatz von Roach Smith: Wir haben mehr Platz für unsere Idee und schon ein Geschichtenskelett.

Mit dieser Struktur findet unser Schreibfluss eine gutes Flussbett, in dem wir unsere Geschichte sicher erzählen können. 

Mein Fazit nach dem Plotten mit Anke: Es hat sich gelohnt, auch weil ich mir einen Wunsch erfüllen konnte und mir ein Krimi-Gerüst gebastelt habe. Einen „shitty first draft“ (Hemmingway) – aber mit viel Spaß entworfen:

„Ich erzähle in diesem Buch von einer Frau, einer schüchternen Lokalreporterin, die ihren außerordentlichen Mut entdeckt, als sie wider Willen zur Ermittlerin gegen die internationale Maffia wird. Sie verstrickt sich immer tiefer in die Recherche über genmanipulierte Biohühner, fest entschlossen, die Verantwortlichen zu stellen. Dabei wird sie beinahe selbst zum Schlachtopfer: Schläger verletzten sie so schwer, dass sie ins Koma fällt. Als sie nach vier Monaten aufwacht, hat sie ihr Gedächtnis verloren. Wenig später verliebt sie sich in einen smarten Anwalt und ahnt nicht, dass es sich um den Sohn des Mafia-Bosses handelt, der sie ins Koma prügeln ließ. Als sie die Wahrheit erkennt, muss sie sich zwischen privatem Liebesglück und der Gerechtigkeit entscheiden. Dank ihrer neu gewonnenen Stärke und Integrität kommt sie auf eine ungewöhnliche Lösung …“

Wer nun also Lust bekommen hat, für seinen Roman ein Schreib-Fluss-Bett zu bereiten, dem seien Bücher von James N. Frey oder ein Plottingkurs empfohlen. Wer Lust hat, seine eigene Geschichte in ein Memoir zu gießen, es zu planen oder ihm eine Form zu geben, der kann das im Writers’ Studio in Wien tun, in Memoir-Treffs in Bremen oder im September auf der Insel Wangerooge.

Der nächste Memoir-Treff ist übrigens am Samstag, 18.2., 10 Uhr bis 13 Uhr, in der Stadtbibliothek, Treffpunkt: Café-Ebene unten. Ich freue mich auf Euch.

 

 

 

 

 

Das ist die Frage, die uns in diesem Sommercamp besonders beschäftigen wird! Um sie zu beantworten, wollen wir nach Herzenslust fabulieren, fantasieren und Geschichten zu schreiben, die uns unserer Version von Freiheit näher bringen.

Im Sommercamp teile ich deshalb Schreibeinladungen und Imaginationen für drei entspannte Urlaubswochen. Nutze sie, wo immer du möchtest, zu Hause, am Strand, in den Bergen oder anderswo und erlebe jeden Tag ein bisschen deutlicher, wie sich Freiheit anfühlen kann!

Auf in einen wonnevollen Schreibsommer!

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