Das Gegenteil von Haben ist keineswegs das Nicht-Haben. Sondern das Sein,
sagt der Rainer Funk, Psychoanalytiker und Vorsitzender der internationalen Erich-Fromm-Gesellschaft. Er hütet das geistige Erbe des Philosophen Erich Fromm, der unbequeme Antworten fand auf die Frage: Was macht Menschen glücklich – oder eben unglücklich?
Die Frage passt für mich zu Weihnachten wie der Stern über Bethlehem.
Die Frage hat außerdem mit mir und einem kindlichen Unbehagen zu tun, von dem ich glaubte, ich hätte es vor Jahren gebändigt. Bis es gestern gegen 23.30 Uhr einfach wieder vor der Tür stand:
Wir schenken einander zuviel dieses Jahr –
dachte ich, als ich gerade das letzte Geschenk einwickelte. Ich hatte seit 20 Uhr dutzende Gaben für die Kinder – meine und die anderer Leute – verschnürt und verziert, am Schluss allerdings nicht mehr ganz so hingebungsvoll wie beim Start.
Statt dessen war ich nach einer geleerten Tesa-Rolle hundemüde und schielte neidvoll zu Labradoodle Frieda, die wie immer rücklings in ihrem Körbchen schlief, Beine nach allen Seiten auseinander fallend, vollkommen vertrauensselig.
Selig. Wie lange war ich nicht mehr so selig = glücklich = erfüllt =
ganz bei mir = eins mit der Welt?
Tiere tun sich leichter mit dem Selig-Fühlen als wir,
überlegte ich.
Unter anderem, weil sie nie mehr haben wollen, als sie für ihr Wohlbefinden benötigen (einige unersättliche Züchtungen ausgenommen). Sie brauchen keine Geschenke – schicke Leinen oder Leuchtis (nervig blinkende Dioden am Halsband) oder Designerbetten. Auch wenn mein Lieblingshundeladen mir das suggeriert und ich gerne mal dran glaube.
Tiere wie Frieda brauchen: Ihre Menschen.
Für sie muss ich einfach nur DA-Sein, dann ist mein Hund glücklich.
Wie wichtig DA-Sein ist, in allen seinen Ausprägungen, vergesse ich oft. Unsere Kinder auch. Früher genügte es, wenn ich da war, wenn ich mein Baby aus der Wiege nahm und an mein Herz legte. Dann war es selig. Heute, zu Weihnachten, genügt mein DA-Sein nicht: Besser ist ein perfekte ausgesuchtes Weihnachtsgeschenk, eine Überraschung:
„Was ganz Tolles, bitte!“ Aber bloß kein Druck.
Versteht mich nicht falsch, meine Kinder sind weder undankbar, noch besonders konsum-orientiert. Sie lieben ihre Eltern und zeigen das auch.
Trotzdem hat auch sie dieser Sog erfasst, der unsere Gesellschaft ausmacht, dieser Sog, Dinge anzuhäufen, zu besitzen, um mitzuhalten, um zu zeigen, dass wir wer sind. Der Peergroup oder den KollegInnen, selbst der Familie und FreundInnen.
Das ist der Sog, HABEN zu müssen.
Und ich mache mit – wider besseren Wissens.
Mit dem Wissen, so sagt Erich Fromm, ist es wie mit allem anderen. Wenn wir es nur anhäufen und „haben“, dann wird es schal. Es wird zum Besitztum, zu Ballast und Bürde. Wir werden eng im Kopf und Herz.
Zu wissen besteht in der Existenzweise des Habens darin, immer mehr Wissen anzuhäufen. In der Existenzweise des Seins ist es jedoch tieferes Wissen und somit Erkenntnis.
Erkenntnis ist etwas, das ich nicht einfach haben, kaufen oder kalkulieren kann. Sie geschieht, wenn ich offenen Auges durch die Welt gehe.
Dann stelle ich wundervolle Dinge fest: Zum Beispiel, dass meine Tochter, die zur Zeit meist den Ton angeben möchte, beim vierhändigen Klavierspiel mich, die Mutter, das Tempo bestimmen lässt.
Erkenntnis: Sie liebt mich zwischen den Zeilen, und: Die Pubertät kann Pausen einlegen.
Andere Erkenntnis: Meine Eltern und Großeltern, vom Krieg traumatisiert, konnten ihre Liebe am ehesten mit ihren Geschenken zeigen. Bei uns Kindern löste das unterm Weihnachtsbaum Freude, aber auch Beschämen, und Zweifel (Haben wir wirklich so viele Geschenke verdient? Was ist hier eigentlich los?) aus.
Das damalige Unbehagen stellt sich wieder ein, wenn ich heute morgen die vielen Päckchen sehe, die ich gestern gepackt habe.
Doch dann stellt sich unerwartet diese Erkenntnis ein – und sie ist für mich ein Weihnachtsgeschenk:
Meine Kinder spüren unsere Liebe, weil wir für sie da sind und weil wir gelernt haben, unsere Liebe zu zeigen.
Täglich, in unserer Beständigkeit, in vielen kleinen Gesten und auch in den Grenzen, die wir setzen.
Es geht bei uns – jedenfalls meistens – ums Sein, nicht ums Haben.
Und trotzdem werde ich im nächsten Jahr ein paar Geschenke weniger kaufen, zur Sicherheit …
Schreibeinladung –
Lasst Euch von Joachim Ringelnatz anregen und schreibt, was Euch zu seinem Gedicht in den Sinn kommt. Wer mag, kann aus den Gedanken im Anschluss ein Elfchen oder Haiku zaubern:
Vom Schenken
Schenke groß oder klein,
aber immer gediegen.
Wenn die Bedachten die Gabe wiegen,
sei dein Gewissen rein.
Schenke herzlich und frei.
Schenke dabei, was in dir wohnt
an Meinung, Geschmack und Humor,
so dass die eigene Freude
zuvor dich reichlich belohnt.
Schenke mit Geist
ohne List.
Sei eingedenk, dass dein Geschenk
– Du selber bist.Joachim Ringelnatz
DANKE 🙂