Warum Zugfahrten immer mit Gelassenheit zu tun haben

Als ich nachts um drei frierend auf dem Bahnhof Hannover strande, steht mein Entschluss fest: Diese Odyssee wird sich nicht wiederholen. Nie mehr werde ich mit der Bahn nach Wien fahren. Ich werde das Flugzeug nehmen – meinem Ökogewissen zum Trotz.

Um zwölf Uhr mittags hatten streikende Wiener Bahnangestellte meine Heimreise nach Bremen beendet, bevor sie begonnen hatte. Erst nach fast vier Stunden, das sind umgerechnet drei Becher Tee und ein Stück Torte im teuren Bahnhofsrestaurant – kommt der Zugverkehr wieder ins Rollen. Sämtliche Anschlusszüge sind da schon längst Geschichte.

Pleiten und Pannen

Kurz nach Passau hat es sich schon wieder ausgerollt – Lokschaden. „Wir bitten um Verständnis“, tönt eine Stimme. Das Licht flackert gespenstisch, wir Passagiere sitzen minutenlang im Dunkeln, eine halbe Stunde wird repariert, dann rollen wir wieder. Kaum haben wir Normalgeschwindigkeit, schrillt ein Pfeifton durch den Zug und die rasende Landschaft draußen verlangsamt sich.

Zwei Schaffner fragen streng, wer den Nothalt ausgelöst habe. Wir zucken mit den Schultern. Dann stellt sich raus. Schuld ist eine defekte Tür. Meine Hoffnung auf irgendwelche Anschluss-Züge gebe ich in diesem Moment auf.

Meine DB-App bleibt nun angeschaltet: die Route ändert sich minütlich: Erst in Nürnberg umsteigen, dann doch in Würzburg, von dort nach Kassel, nein doch mit dem IC nach Dortmund. Ach Mist, der ist gerade auf dem anderen Bahnsteig ohne mich abgefahren, so dass ich noch eine Stunde auf dem zugigen Gleis ausharren muss, weil ich meinen Koffer – voll mit Büchern und Ordnern für meine Workshops – vor lauter Rückenweh nicht mehr die Treppen in die beheizte Bahnhofshalle wuchten kann. Potenzielle Helfer sind keine in Sicht, wohl aber ein Fahrstuhl: Jippieh! – Ach nein, kaputt.

Tiefgefroren steige ich eineinviertel Stunden später in den Zug nach Kassel, in dem ein Schaffner Fahrgemeinschaften formiert: Jeweils zu dritt bekommen wir Taxigutscheine nach Hannover. „Ich muss aber nach Bremen“, sage ich. Jetzt zuckt der Schaffner mit den Schultern: „Unmöglich, ich habe meine Anweisungen.“ Ich bin erstaunlich gelassen. Wohl mehr aus Erschöpfung, denn aufgrund von Seelenruhe.

Entschleunigung statt Odyssee

Wie anders ist doch die Gelassenheit, die mich jüngst auf einer anderen Zugfahrt eingeholt hat – und mich regelmäßig erfasst,wenn ich von Bremen nach Wangerooge fahre, zu meinem zweiten Arbeits- und Schreibort.

Diese Zugfahrt ist eine selbstgewählte Odyssee und eine Methode der Entschleunigung, ein erprobtes Übergangsritual, das mich aus dem Alltagswahnsinn holt und vorbereitet auf das heilsame Schreiben mitten in der Nordsee.

Sie funktioniert dank der Bahn in wohldosierten Etappen – die genossen werden wollen und eine gewisse Einstellung voraussetzen: Mit dem Zug geht es üblicherweise von Bremen nach Oldenburg, dort steige ich am selben Bahnsteig um in den geräumigen, kaum bevölkerten Zug nach Sande. Im kleinen Bahnsteig-Café in Sande gibt es Tee, Stullen, oder ein Stück selbstgebackenen Kuchen, bevor uns ein knorriger Ostfriese mit dem Tidebus chauffiert – quer durch das erholsame friesische Nichts direkt zum Anleger in Harlesiel.

Tierische Begleiter

Dort fährt die Fähre gerade ein oder wartet schon, ich gebe den Koffer auf und freue mich je nach Tageszeit auf einen Kaffee oder ein Bockwurstbrötchen an Bord. Im Winter zähle ich manchmal die Möwen, die dem Schiff hoffnungsvoll kreischend folgen, im Sommer halte ich Ausschau nach den Seehunden, die sich vor Wangerooge gern auf den Sandbänken flezen.

Dann sind wir da: Neben weißen Dünen wartet das Inselbähnchen und auf einem Schild der Hinweis

„Gott schuf die Zeit, von Eile hat er nichts gesagt“.

Seit der Abfahrt aus Bremen sind jetzt etwa vier Stunden vergangen. Vier Stunden, in denen immer mehr meiner Festlandssorgen auf der Strecke geblieben sind.

Ich fühle mich schon beinahe unbeschwert und finde ein Plätzchen am Fenster. Wir zuckeln durch die Wattwiesen, vorbei an Queller und Vögeln, deren Namen ich endlich einmal herausfinden möchte. Im Ort angekommen, winkt mir meist schon von Weitem meine Freundin und Kollegin Regine zu. Jetzt bin ich endlich angekommen.

In Hannover ist es um drei Uhr nachts mein mich liebender Mann, der mich mit einem Mietwagen abholt. Noch eineinviertel Stunden, und ich liege endlich in meinem Bett. Ich träume von dunklen Zugabteilen, von kreischenden Möwen im Wiener Hauptbahnhof und einem Nothalt auf der Nordsee. Eine Robbe trägt mich auf ihrem Rücken nach Wangerooge.

Bestimmt hab ich im Schlaf gelächelt.

Das ist die Frage, die uns in diesem Sommercamp besonders beschäftigen wird! Um sie zu beantworten, wollen wir nach Herzenslust fabulieren, fantasieren und Geschichten zu schreiben, die uns unserer Version von Freiheit näher bringen.

Im Sommercamp teile ich deshalb Schreibeinladungen und Imaginationen für drei entspannte Urlaubswochen. Nutze sie, wo immer du möchtest, zu Hause, am Strand, in den Bergen oder anderswo und erlebe jeden Tag ein bisschen deutlicher, wie sich Freiheit anfühlen kann!

Auf in einen wonnevollen Schreibsommer!

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