Vor einigen Monaten entdeckte ich dieses helle Licht am Himmel, von dem ich zunächst dachte, es sei ein Flugzeug, das gerade am Bremer Flughafen gestartet ist. Doch das Licht blieb konstant an einer Stelle und ich schlussfolgerte, dass es sich um den Nordstern handeln musste.
Ein Wunder, dass ich ihn zu sehen bekam, denn in Norddeutschland war der Himmel seit Wochen bedeckt, es regnete, und Menschen an Hunte und Weser saßen auf gepackten Koffern, für den Fall, dass die Deiche nachgeben und ihre Häuser überflutet würden. Doch in dieser Nacht war der Himmel für eine Weile klar und ich entdeckte die Venus, wie der Nordstern ja auch heißt.
Der Anblick tat mir gut, je länger ich schaute, desto gelassener fühlte ich mich.
Dabei war ich bis eben noch ganz aufgewühlt zu einem Spaziergang mit Frieda, meinem Doodle, aufgebrochen. Mein Schreibcamp, das gerade lief, hatte die Sedimente in meinem Seelensee in Wallung gebracht. Das war natürlich auch gut so, denn ich wollte beim Schreiben ja drängende Fragen klären. Und schließlich funktionieren so alle Übergänge im Leben. Es gibt eine Weile Durcheinander statt Durchblick.
Ich blickte derweil weiter in den Himmel, Frieda hatte mittlerweile zu meinen Füßen Platz genommen. Dann kam mir eine Idee: Kann mir die Venus da oben vielleicht den Weg aufhellen, solange ich hier unten noch im Trüben fische?
Das geht, sagt Rick Hanson, ein amerikanischer Psychologe, wir müssen dazu ’nur‘ unseren Nordstern finden. Seine Idee vom Nordstern passt beglückend gut zu der Idee der Leitsterne, um die es zum Beispiel im Online-Wintercamp geht. Dort formulieren wir jedes Jahr Werte, Qualitäten, Überzeugungen, die uns wie ein Leitstern den Weg durchs Jahr weisen.
Jedes Jahr formuliere ich meinen Leitstern anders, doch ich habe festgestellt, dass seine Qualität immer in eine ähnliche Richtung weist. Manchmal haben Schreiber:innen auch mehrere Leitsterne. Um sie alle zu verbinden, können wir ab jetzt nach dem obersten Leitstern – nach Venus oder Nordstern – Ausschau halten.
Damit du nicht bis zum Wintercamp warten musst, habe ich hier ein paar Anregungen versammelt, wie du auch mitten im Jahr deinen Nordstern finden kannst:
Suche dir einen ruhigen angenehmen Ort zum Schreiben und reserviere dir etwa eine halbe Stunde.
Lenke deine Sinne auf dich und deinen Körper. Hör auf deinen Atem fühle, wo er etwas in dir bewegt.
Dann frag dich selbst, wortlos oder laut: „Was ist mein Nordstern?“ Die Antwort mag leise sein; man muss vielleicht genau hinhören, um sie zu hören.
Vielleicht kommt sie mit der Stimme eines inneren Kindes, eines Lehrers, einer klugen Freundin, einer inneren Weisheit oder mit einer einfachen, überzeugenden Klarheit. Antworten können in Form eines wortlosen Wissens, eines Bildes, einer Körperempfindung oder einer Erinnerung kommen.
Oder helfen dir diese Impulse, um Antworten einzuladen:
„Welche Fragen stellt mir das Leben jetzt, in dieser neuen Jahreszeit?“
„Welchen Kurs möchte ich einschlagen?“
„Welche Kraft, Überzeugung, Idee, welcher Wert, welches Motto hält mich auf diesem Kurs?“
Gönn dir dann eine kleine Weile um zu notieren, was deine innere Stimme dir zuflüstert!
Neue Wege entstehen, wenn wir sie gehen – und aufschreiben. Das ist keine Erfindung von mir, sondern eine Erkenntnis der Hirnforschung. Doch Forschung ist eine Sache, Erfahrung eine andere. Darum probiere es am Besten einmal aus und beobachte aufmerksam, wie gut du von deinem Nordstern geleitet wirst.
Wenn du magst, kannst du die Erlebnisse notieren, am Besten mit allen Sinnen, das liebt unser Gehirn, das ansonsten funktioniert wie Teflon: Gute Erfahrungen gleiten ab; Negatives brennt sich ein wie Fett in der Pfanne.
Wenn du Worte für die Wirkung deines Nordstern findest, steigt die Wahrscheinlichkeit drastisch, dass du gute Erfahrungen dauerhaft verankern kannst, stärkende Überzeugungen immer verfügbar hast und heilsame Gewohnheiten dir das Leben leichter machen.
Den Anblick des Nordsterns und das gute Gefühl, das er auslöste, kann ich auch mit diesem Text ein Stück verankern. Und falls ich mal wieder im Trüben fische, denke ich hoffentlich daran, diesen Beitrag zu lesen und mich unter dem hellen Licht der Venus wieder ganz gelassen zu fühlen.
Viel Freude mit deinem persönlichen Nordstern wünscht: Birgit