Neulich, zu meinem Geburtstag, bekam ich ein besonderes Geschenk: Meine neue Freundin A. hatte mir eine Collage gemacht. Sie zeigt eine Frau – ganz offensichtlich mich, wie ich an Brille und Haaren erkannte – der Worte und Sätze, Ausschnitte aus Zeitungsartikeln, in den Schoß fallen, wenn sie nicht gerade wie wie Pfeile auf sie zu schiessen. Unterschrieben war das kleine Kunstwerk mit: Die Wortesammlerin.
A. hat mich also durchschaut: Ja, ich sammle Worte und zwar, seit ich denken kann. Ebenso wie Metaphern, Bilder, die nicht so gewöhnlich sind, schöne Vergleiche, all das eben.
Ein Tag ist ein guter Tag, wenn ich eine originelle Formulierung lese oder höre. Und ich bin stundenlang in Hochstimmung, wenn ich einen wirklich guten Titel in der Zeitung gelesen habe („Gut gebrüllt Löw“, über den deutschen Bundestrainer zum Beispiel, oder „T.Hanks“, der Titel eines Textes über den gleichnamigen Schauspieler).
Schlagfertige Menschen und ihre Formulierungen versetzen mich sogar in Ehrfurcht, wenn sie nicht gerade einen Lachkrampf verursachen. Letzteres gelang heute morgen meinem Sohn Max (5), der immer alles besser weiß als seine Schwester, seine Eltern, seine Kindergärtner, seine Freunde. „Klugschieter“, sagte mein Mann deshalb zu ihm. Worauf Max konterte: „Das heißt Klugscheißer, Papa“. Tja, ganz die Mama.
Max ist in einem Alter, in dem sein Gehirn zu explodieren scheint. Der neu entstehende Raum muss gefüllt werden und darum will Max alles wissen. ALLES. Also fragt er immer und ständig oder er kommentiert die Dinge, die um ihn herum passieren mit unverdorbener Ehrlichkeit. Das ist nicht immer schmeichelhaft für die Betroffenen: Heute nachmittag war unsere Mischlingshündin die Leidtragende. Sie ist alt und schleicht beim Spazierengehen unerträglich langsam hinter uns her. Als Max die Nase voll davon hatte, sagte er: „Es wird wirklich Zeit, Jackie mal zu verschenken“. Ich musste laut lachen, über die gestelzte Formulierung wie über ihren Inhalt – was Max wütend machte. „Wieso, stimmt doch.“ Na, ja.
Während des Wortwechsels standen wir gerade unter einem Baum, der Regen tropfte zwischen den Zweigen hindurch auf uns und dann auf den Boden, wo er in staubiger Erde versickerte. Ein paar Osterglocken ließen ihre Köpfe hängen. Max schaute die Blumen mitleidig an und sagte: „Pflanzen können nur trinken, nicht essen. Wie werden sie denn da bloß satt?“
So viele schöne Beobachtungen und Formulierungen an einem Tag. Und dann las ich vorhin auch noch die ersten Sätze eines Geschenks meiner Freundin M., eines Romans von Triye Selasi: „Diese Dinge geschehen nicht einfach so“. Sätze, die mich ganz demütig und dankbar gemacht haben, weil sie mich direkt in eine Szene mitnehmen, sie mir lebendig vor Augen führen, obwohl ich selbst noch nie etwas Ähnliches erlebt habe. Kunst ist natürlich Geschmackssache, aber vielleicht kann ich Euch ja mit diesen ersten Sätzen ein wenig erfreuen …:
„Kweku stirbt barfuß, an einem Sonntag vor Sonnenaufgang, seine Hausschuhe kauern an der Tür zum Schlafzimmer, wie Hunde. Jetzt steht er auf der Schwelle zwischen Glasveranda und Garten und überlegt, ob er zurück soll, um die Pantoffeln zu holen. Er holt sie nicht. Seine zweite Frau, Ama, schläft dort im Schlafzimmer, die Lippen leicht geöffnet, mit gerunzelter Stirn, ihre heißen Wangen auf der Suche nach einer kühlen Stelle auf dem Kopfkissen, Kweku will sie nicht wecken. Er hätte es auch nicht geschafft, selbst wenn er‘s versucht hätte. Sie schläft wie eine Cocoyam, Ein Ding ohne Sinnesorgane. Sie schläft wie seine Mutter, abgeschnitten von der Welt. Das Haus könnte von Nigerianern in Flipflops leergeräumt werden …