Störungen haben Vorrang …

… diesen Satz kennt Ihr womöglich aus „pädagogisch-psychologischen Zusammenhängen“, wie sie beispielsweise in meiner Uni-Zeit geläufig waren. Mit all dem dazugehörigen, unsäglichen Psycho-Talk: „Du, ich bin jetzt echt berührt davon.“ oder „Was macht das jetzt mit Dir?“.

Schauder.

Falls sich jetzt jemand angegriffen fühlt, möge er/sie dies bedenken: Manche Phrasen sind wahre Waffen, die hart treffen und verletzen, während sie so tun, als seien sie die Güte selbst: „Das mein ich jetzt nicht persönlich, aber …“. Was folgte, war meist eine Unverschämtheit und zutiefst persönlich.

„Störungen haben Vorrang“ – dieser Satz gehört zwar zum alten Spracharsenal, aber er hat für mich noch immer Gewicht. Wer schreibt, kennt das: Eigentlich sollte das Hirn jetzt mit der Masterarbeit, dem Aufsatz, dem Buch beschäftigt sein, statt dessen dreht sich alles um: „Wieso hat er das gerade gesagt? Ich bin echt sauer.“ Oder um: „Wie bezahl ich bloß die Autoreparatur, mein letzter Kunde hat noch immer nicht überwiesen…“.

Heute morgen lautete meine Störung: „Was haben sich die Griechen bloß dabei gedacht? Wie wird es ihnen ergehen?“ Ich fühlte mich wie eine Mutter, die sich um ihr ungezogenes Kind sorgt. Mit der Bäckersfrau tauschte ich mich aus: „Das geht ja auch nicht, dass sie ihre Schulden nicht bezahlen und nicht sparen“, sagte sie. „Na ja, ich verstehe schon, dass sie nicht mehr in Europa mitmachen wollen, würde ich auch nicht, wenn bei uns kein Geld mehr aus den Automaten käme“, verteidigte ich den rebellischen Sproß. Um gleich darauf elterlich-weise zu sagen. „Aber es ist komisch. Sie gehören doch zu Europa dazu.“

Zugegeben keine informierte, hochkarätige Diskussion, aber sie zeigte mir eines: Europa ist für mich mehr als eine Idee. Ein Traum eher von einer Gemeinschaft ganz unterschiedlicher Charaktere, die zusammen arbeitet, um das Leben für all ihre Mitglieder besser zu machen.

So wie es Familien tun sollten. Im Augenblick gibt es in Europa einen Haufen strenger Eltern (Frau Merkel und Co) und ein rebellisches oder freies Kind (Griechenland). Keine Erziehungsmaßnahme hat gegriffen, die Supernanny und das Boot-Camp haben versagt. Jetzt wird das Kind flügge und trotzig.

Ich wünsche ihm wirklich, dass es sich seines wahren Lebensalters (Geburt im 8. Jahrhundert vor Christi) und seiner Weisheit besinnt und bedient: „Gnothi seauton“ = „Erkenne Dich selbst“, steht am Apollon-Tempel in Delphi und Heraklit ergänzte: „Und werde der Du bist“.

Dasselbe gilt für Europa, die Elternschar, die sich umdefinieren muss, wenn Griechenland, die Wiege Europas nicht mehr im Einzugsgebiet liegt.

Genug geschrieben. Die Störung ist bewältigt. Nun kann ich zum Pflichtprogramm umschalten und sitze praktischerweise schon startklar am Computer.

Ich wünsche Euch, dass Ihr alle Störungen – vielleicht schreibend – schnell bewältigt und den Montag genießen könnt …

Eure Birgit

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