Advent, Advent

Man möge mir diesen etwas einfallslosen Titel verzeihen – schließlich handelt es sich um einen Traditionsbegriff – und dazu einen, den man nicht viel besser machen kann. Aus journalistischer Sicht ein perfekter Titel – sofort weiß jeder, was gemeint ist, neugierig ist man auch irgendwie – denn wer weiß schon, was da kommt (lat. Adventus = Ankunft). Und aus Kindertagen hat man die Hoffnung, dass das, was da kommt, schön, aufregend bis großartig sein könnte.

Natürlich haben wir inzwischen dazu gelernt: „Achte gut auf Deine Wünsche, sie könnten wahr werden“, hat meine Oma mal gesagt. Viele von uns kennen die Enttäuschung, wenn sich ein Herzenswunsch erfüllt und sich dann herausstellt, dass die Sehnsucht und das Idealbild von der Erfüllung schöner war, als die Realität jemals sein könnte.

Mit Hilfe unserer Herzenswünsche gewinnen wir eine Richtung, ein Ziel, einen Sinn für unsere Aktivitäten. Und diese Sinnhaftigkeit ist es, die für Menschen wirklich wichtig ist. Das haben mir – wenn ich als Biografieforscherin unterwegs war – meine Gesprächspartnerinnen in ihren Lebensgeschichten immer wieder gezeigt. Ich schreibe bis Weihnachten deshalb jeden Tag einen Herzenswunsch auf einen Zettel und warte auf das, was dann kommt (siehe Seminar am 17. Januar).  Allein das Aufschreiben gibt mir schon eine Richtung und Einsichten.

Aber zurück zum Advent, zur  Zeit der Vorfreude auf das, was da kommt: Mein Sohn lag in der vergangenen Woche morgens jeweils eine halbe Stunde bäuchlings vor seinem Adventskalender und malte sich aus, wie wunderbar es sein würde, am 1. Dezember das erste Türchen zu öffnen. Er hat sich genau eingeprägt, wo jedes Türchen zu finden ist und mir dann ausführlich erzählt, wie er den Inhalt (Lego-Starwars-Equipment) in seinem Zimmer anordnen würde. Ich glaube wirklich nicht, dass die Umsetzung dieser Vorstellung schöner werden könnte als Maxis Planung.

 Advent, die Zeit der Vorfreude, ist auch die Zeit der Erinnerungen daran, wie es in unserer Kindheit war. Damals warteten wir besonders andächtig auf das, was da kommt. Und das waren schon damals nicht immer nur die schönen Dinge. Gestern – an unserem Thanksgiving-Advent-Sonntag mit Freunden und Familie (Blog am 17.11.2014) –  erinnerte sich zum Beispiel X an den ersten großen Betrug in seinem Leben.

Tatort war der katholische Kindergarten gewesen, in den seine Eltern ihn wegen der praktischen Öffnungszeiten gegeben hatten. X, das muss dazu gesagt werden, wuchs in einer erz-protestantischen Kleinstadt auf. Und X wusste genau, was und wen er am Nikolaustag zu erwarten hatte: Schließlich hatte er den Nikolaus persönlich schon mit eigenen Augen gesehen – auf einem Schimmel reitend vor dem Spielwarengeschäft in der Fußgängerzone, wo er wie jedes Jahr am 6.12. den Kindern Bonbons zuwarf.

Groß also war die Vorfreude, als die Nonnen den Besuch des Nikolaus in der Kita angekündigten. In der Kita! Die Bonbons mussten nicht mit den Kindern der halben Stadt geteilt werden! Doch als der heilige Mann dann erschien, war die Enttäuschung groß: Kein Schimmel wie in der City, noch nicht mal ein roter Mantel und weißer Bart wie auf Bildern, nein, ein Mann mit weißem Mantel voller Ornamente, mit Zepter in der Hand und spitzer Bischofsmütze auf dem Kopf erschien in dem abgedunkelten Festsaal. Ein vollkommen Fremder, ein Betrüger!

„Das ist nicht der Nikolaus“, dachte X bei sich, empört und fassungslos ob der Torheit der anderen Kinder, die dieses falsche Modell für bare Münze nahmen. „Verrat“ ist das Wort, dass X heute für diese Episode findet.

Zum Glück für X kam dann Weihnachten der richtige Mann mit Bart, Mütze und ja, auch mit Rute zu X nach Hause. Beim Anblick des (vom Nachbar gespielten) Weihnachtsmanns mit seiner verstörenden Plastikmaske und dem weißen Bart brach X in Tränen aus. Davon gibt es ein Beweisfoto: X auf dem Arm seiner Mutter, die ihn tröstet. X erinnert sich zum Glück nicht daran. Und das ist auch eine Weisheit, die Biografieforscherinnen manchmal erfahren: Vergessen hat seine positiven Seiten.

Liebe Blog-FreundInnnen, leider kriege ich den Bogen nicht hin, zum Advent der schönen Verheißungen, die dann auch wahr werden und Liebe und Glück in unser Leben bringen.

Aber der Advent ist ja 24 Tage lang, das werde ich bis Weihnachten nicht vergessen („Wann kommt endlich der Weihnachtsmann, Mama?“ fragt mein Sohn beinahe stündlich). Und wer weiß, wie viel – schöne – Erinnerungen mir bis dahin noch kommen …

Das ist die Frage, die uns in diesem Sommercamp besonders beschäftigen wird! Um sie zu beantworten, wollen wir nach Herzenslust fabulieren, fantasieren und Geschichten zu schreiben, die uns unserer Version von Freiheit näher bringen.

Im Sommercamp teile ich deshalb Schreibeinladungen und Imaginationen für drei entspannte Urlaubswochen. Nutze sie, wo immer du möchtest, zu Hause, am Strand, in den Bergen oder anderswo und erlebe jeden Tag ein bisschen deutlicher, wie sich Freiheit anfühlen kann!

Auf in einen wonnevollen Schreibsommer!

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