Grenzen

Alles hat seine Grenzen.
Ein Land wie Deutschland hat Grenzen, das heißt, es hat sogar mehrere. Hier unten bei uns endet Deutschland, wenn die Niederlande anfangen, oben rum, im Süden, stößt Deutschland zum Beispiel an der Schweiz an Grenzen.

Auch ein Tag hat Grenzen – zeitlicher Art: 24 Stunden und das war’s. Mehr Minuten gibt es nicht – auch wenn manche meiner Tage durchaus das Doppelte an Zeit nötig hätten.

Und ich selbst habe Grenzen, psychische und physische. Geduldsgrenzen, Kraftgrenzen, ja, selbst beim Spaß-Empfinden sind mir Grenzen gesetzt.

Ein Studienkollege sagte mal von mir, ich würde selbst aus Dreck Gold machen, so ein positiver Mensch sei ich. Das fand ich damals lustig, aber leider hat er nicht recht. Mir sind Grenzen gesetzt. Ganz archaische, enge.

Das habe ich gestern (wieder einmal) erfahren: Ich saß im IC nach Hamburg, als plötzlich auf freier Strecke die Maschine stockte. „Wir können unsere Fahrt wegen eines Lokschadens nicht fortsetzen“. Ach, ja? Und: „Über Ihre Anschlussmöglichkeiten informieren wir Sie, sobald wie möglich.“

Es war nicht bald möglich.

Unter sengender Sonne stieg die Temperatur im Waggon auf geschätzte 40 Grad. Die Zugbegleiterinnen brachten Wasserflaschen – gratis – an die Plätze, während ihnen der Schweiß die Wangen herunterlief. „Wir können die Türen und Fenster leider aus Sicherheitsgründen nicht öffnen, da wir auf freier Strecke stehen“. Hinter mir fragte jemand: „Haben wir einen Arzt an Bord?“

Mein Herz pochte wild. Der Absatz, den ich zu lesen versuchte, um mich abzulenken, erschloss sich mir auch nach dem zehnten Versuch nicht. Ich startete einen elften, während die Hitze in unserer Zug-Konservendose stieg und immer wieder besorgt blickende Bahn-Techniker in orangen Westen durch die vollen Gänge hasteten.

Vor mir spannte eine junge Frau einen Regenschirm gegen die Sonne auf, die durch das Abteilfenster auf ihren Arm brannte. Ich goss mir das Wasser aus der zweiten ergatterten Gratis-Flasche über meinen Kopf. Das half für drei Minuten. Dann schwitzte ich weiter.

Ich kann nicht sagen, wie lange es gedauert hat, bis der Zug wieder anfuhr. Nur, dass es viel zulange dauerte und ich in dem Moment, als sich die Blechbüchse mit uns darin in Bewegung setzte, sehr, sehr erleichtert war. Es war vorbei.

Mein Anschlusszug leider auch. Und ich kam zu spät zu meiner Veranstaltung. Trotzdem kam nach und nach die alte Birgit wieder zum Vorschein, die sagt: Ach, mache ich halt das Beste daraus.

Grenzen zu erfahren, kann einer Krise gleichkommen. Aber soll man aus Krisen nicht lernen? Mir hat meine Bahnkrise gezeigt, welche Macht in uralten Reaktionsmustern steckt. Der Fluchtreflex aus der überfüllten, überhitzen Bahn war vielleicht nicht so stark wie damals bei unseren Vorfahren, die vor einem Feuer davon liefen. Aber er war mächtig.

Und auch der Ärger auf die anfällige Technik, auf die Deutsche Bahn, for that matter, fühlte sich ganz schön mächtig an.

Und das finde ich, mit einigem Abstand, ganz gut. In Extremsituationen können wir uns darauf verlassen, dass mehr in uns steckt, als wir glauben. Was das auch immer sein mag. Das entscheide langfristig ich und sage: Gold statt Dreck.

In diesem Sinne einen schönen Sonntag.

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