„You have to take a step back, see things for what they are, and then write about them. You have to become an observer, you have to put your life on hold.“ Cristian Mihai
Für den rumänischen Autor Cristian Mihai gibt es zwischen Leben und Schreiben eine Kluft.
Schreiben heißt für ihn: Beobachten, Einordnen.
Leben heißt für ihn: Etwas tun, etwas erleben, was es dann zu beschreiben gilt.
Um Schreiben zu können, muss er das Leben unterbrechen, innehalten und reflektieren. Und dabei verpasst er manchmal sogar, sich zu verlieben oder zu reisen, wie er in seinem Blog verrät.
Ganz ehrlich: Mich irritiert diese These von der Trennung zwischen Leben und Schreiben. Obwohl ich Cristian Mihails klugen Blog sehr schätze. Doch Leben und Schreiben sind für mich so wenig trennbar wie Geist und Körper.
Ich lebe auch beim Schreiben. Gerade sitze ich beispielsweise schreibend am Esstisch, Füße auf einem Kinderstühlchen, ich höre die Spülmaschine rhythmisch rauschen, denke ans Meer dabei und daran, dass meine Tochter Carlotta als Baby vom beruhigenden Spülmaschinenrauschen immer eingeschlafen ist. Die Wiege stand deswegen vorzugsweise in der Küche.
Ich reflektiere auch beim Schreiben. In den Morgenseiten reflektiere ich darüber, dass ich heute nur noch ein schönes berufliches Telefonat vor mir habe und dann die Weihnachtsferien beginnen! Und ich starte eine Einkaufsliste für den Sonntagsbrunch: Eier, Bagel, Frischkäse …. Dann fällt mein Blick auf den Artikel aus der „New York Times – International Weekly“, den mir Judith Wolfsberger vom Writers‘ Studio Wien gestern geschickt hat:
Eine Studie aus Texas hat gezeigt, dass Arbeitslose, die über ihren Jobverlust geschrieben hatten, doppelt so schnell wieder in Lohn und Brot waren, wie Menschen, die ihre Gefühle nicht zu Papier gebracht hatten. In Großbritannien griffen Psychologen diese Studie auf und ließen einen jungen Arbeitslosen, einen angeblich hoffnunglosen Fall, über seine Misserfolge schreiben. Auch er ist wieder in Lohn und Brot. Von Ergebnissen wie diesen motiviert, starten die Psychologen zusammen mit Wirtschaftsexperten nun ein groß angelegtes Experiment.
Das Schreiben hat Menschen hier offensichtlich aus einer Krise geholfen. Cristian Mihai würde vielleicht sagen, sie hätten eine Auszeit vom Leben genommen, um dann wieder einzusteigen. Ich sage: Sie haben beim Schreiben ihre Gefühle bearbeitet, verarbeitet und neue Perspektiven gewonnen. Sie haben weiter gelebt.
Schreiben ist wie Atmen, sagt die Poesietherapie: Wir lassen uns beeindrucken und drücken unsere Eindrücke aus. Wir atmen ein und aus. Wenn wir unsere Eindrücke ausdrücken – schreibend, malend, tanzend oder anders – können wir sie umwandeln in etwas, mit dem wir leben können. Wir lassen zu, dass wir uns verändern und halten mit dem Leben Schritt. Wir schreiben und leben. Sogar durch Krisen hindurch.
Da ist keine Kluft, da ist eine Verbindung, zwischen Schreiben und Leben. Die Arbeitslosen in Texas und jetzt auch in Großbritannien durften diese Erfahrung machen – so wie die vielen Menschen hierzulande, die Schreiben als Lebensstrategie entdecken und für sich allein oder in Kursen und Workshops ausprobieren.
Ich wünsche uns allen, vor allem auch Cristian Mihai, für die Weihnachtstage ganz viel Leben, ganz viele Eindrücke und schöne Begegnungen, die uns bewegen – hinein in ein Glückliches Neues Jahr 2014.