Reif für eine Butterdose

„Butter bei die Fische“ steht auf der weißen Butterdose, die neben den Socken und T-Shirts für meine Kinder in einem Bremer Geschäft steht. Es handelt sich  hier um einen sehr einträglichen Concept-Store: Mütter können hier viel ungeplantes Geld ausgegeben – neben Kinderkram für bunte Halstücher, selbstgenähte Röcke oder matt-weißes Küchenzubehör.

Ich liebäugele ernsthaft mit der Butterdose. Das wäre kein Fall für den Blog – wenn dieser Wunsch nach einer Butterdose nicht zeigen würde, dass auch in meinem Leben die Zeit Wunden heilt. Und dass es gut ist, darüber zu schreiben. Reifen heißt das wohl. Von Weisheit wage ich in meinem Fall noch nicht zu reden.

Freundinnen und Erst-Leserinnen meines Memoirs werden bei dem Begriff Butterdose vielleicht hellhörig:  Sie wurde in der schwierigen Beziehung zu meiner Mutter  immer wieder zum Stein des Anstoßes. In meiner Pubertät zum Beispiel signalisierte die nicht vorhandene Butterdose auf dem nicht festlich genug gedeckten Muttertagstisch, dass wir Kinder wieder einmal nicht gut genug für meine Mutter gesorgt hatten. Schweigen, Schmollen und unausweichliche Tränen am zweiten Mai-Sonntag waren eine wiederkehrende Folge.

Auch später, zum Beispiel als ich gerade meine Tochter geboren hatte, gab die Butterdose Anlass zum Zank. Hier ein Ausschnitt aus meinem Memoir:

„Meine Mutter hatte alle Schränke in meiner Küche durchforstet auf der Suche nach einer Butterglocke. ‚Wie, ihr habt keine Butterglocke? Wie kann man keine Butterglocke besitzen?‘, fragte sie mich und hatte plötzlich ganz viele kleine Falten um die Augen, und Sorgen gruben sich in ihre Stirn. ‚
Uwe isst keine Butter und ich ganz selten. Ich lege für mich meist nur ein kleines Stück in eine Glasschüssel‘, sagte ich.
‚Eine Glasschüssel kann man doch nicht ordentlich verschließen‘, sagte Mutter, ihr Ton eine Spur schärfer als zuvor.
‚Ich hatte mal eine Butterglocke, die ist mir zerbrochen‘, sagte ich, um den Disput schnell noch im Keim zu ersticken.
Doch eine Frau wie meine Mutter, die immer noch mit Glanz in den Augen von den ersten Butterstullen schwärmt, die sie nach der Flucht aus Königsberg zu essen bekam, diese Frau, für die, ‚dick Butter aufs Brot zu streichen‘, gleichbedeutend ist mit Erlösung von Angst und Hunger, für diese Frau war mein Umgang mit dem Heiligtum Butter unverständlich. Für sie gehörten dicke gelbe Butterziegel zu dem besten, was die Nachkriegszeit bis heute zu bieten hat, und sie gehörten in ein würdiges Gefäß, eine Butterdose, einen Schrein.

Für mich gehörte Butter dagegen zu den Dickmachern, die ich seit vielen Jahren aus meinem Kühlschrank verbannte. Butterdosen standen gar für Regeln und Normen, die mir das Leben schwer machten und meine Unabhängigkeit behinderten.
Trotzdem sagte ich:  ‚Ach lass doch‘, und hörte selbst, wie lahm das klang. ‚Wir haben nun einmal keine Butterglocke und brauchen auf absehbare Zeit auch keine.
‚Es ist Dein Leben‘, sagte sie  und meinte es nicht.
‚Ja‘, sagte ich, ‚mein Leben‘, und fühlte mich ein bisschen schuldig.

Heute, während ich über die Szene in meiner Küche schreibe, begreife ich, warum ich diesen Streit unbedingt vermeiden wollte. Ich hatte gespürt: Es ging darin um ein Leben in Sicherheit, das für meine Mutter nie sicher war. Es ging um eine Welt, in der es Butter und statt Bomben gab, und die ich bedrohte, wenn ich aus ihr ausbrach. Doch dank meiner eigenen Tochter habe ich mittlerweile gelernt, dass ich meine Schuldgefühle überwinden und zu meinen eigenen Lebensregeln stehen muss: Um meiner selbst willen – und für meine Tochter.“

Diese Passage aus meinem Memoir illustriert, wie sich das ältere mit dem jüngeren Selbst trifft und in der Reflexion eine neue Haltung zu den Ereignissen von früher entsteht. Eine Haltung, die unbedingt entstehen muss, damit Leser und Leserinnen sich einem Autoren, einer Autorin anvertrauen können und nicht einem Misery-Memoir zum Opfer fallen.  Sie brauchen die reife Stimme, die aus der neuen Haltung resultiert, die von heute aus spricht und die Gewissheit vermittelt: Ihr könnt es wagen, Euch zu identifizieren. In diesem Buch erfahrt ihr,  wie die Protagonistin Traumata überlebt und Krisen überwindet. Vielleicht erfahrt ihr sogar etwas Wertvolles für Euer eigenes Leben.

Ich habe auf jeden Fall enorm viel dazu gelernt, während ich geschrieben habe. Das ist das Wundervolle am Memoir: Mit einfühlsamer Anleitung und am besten in einer Gruppe geschrieben – fördert es die Selbstheilung manchmal weitreichender als eine Therapie. Darauf lässt auch das Muttertagsgeschenk meiner Tochter hoffen (nein, es handelt sich nicht um eine Butterdose): Viele bunte Luftballons mit ihren ganz persönlichen Komplimenten an mich. Ich sehe der Zukunft gelassen entgegen und auch der Pubertät – die noch vor uns liegt.

Das ist die Frage, die uns in diesem Sommercamp besonders beschäftigen wird! Um sie zu beantworten, wollen wir nach Herzenslust fabulieren, fantasieren und Geschichten zu schreiben, die uns unserer Version von Freiheit näher bringen.

Im Sommercamp teile ich deshalb Schreibeinladungen und Imaginationen für drei entspannte Urlaubswochen. Nutze sie, wo immer du möchtest, zu Hause, am Strand, in den Bergen oder anderswo und erlebe jeden Tag ein bisschen deutlicher, wie sich Freiheit anfühlen kann!

Auf in einen wonnevollen Schreibsommer!

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