Schreiben hilft – aber warum …

Zu dieser Frage sammele ich seit einigen Wochen Ideen, Meinungen, Einsichten, um darüber demnächst einen langen Artikel zu schreiben. Heute berichte ich Euch von David Lätsch, einem Psychologen und Mitarbeiter der Universität Bern, der Antworten auf meine Frage in einem Buch versammelt hat (Schreiben als Therapie? Psychosozial Verlag 2011).

In Interviews mit Autoren fand er bestätigt, was wir alle ahnten: Egal, ob Autobiografie oder Roman, immer kommt der Schreibende selbst in seinen Geschichten vor. Und das bedeutet, dass auch die unwahrscheinlichsten Plots etwas über die heimlichen Wünsche, Motive, Sehnsüchte, Überzeugungen aussagen, nur sind sie nicht so leicht zu erschließen, wie in einer Autobiografie.

Das hat den Vorteil, dass auch ausgedachte Geschichten heilsam sein können, ja „therapiefähig“, wie Lätsch feststellt. Und er nennt dafür sieben Gründe (Wirkfaktoren):

1. Schreiben ist eine lustvolle Tätigkeit und Autoren erfahren dadurch die Bestätigung: Auch mein Leben ist wichtig.

2. Schreiben führt zu Selbsteinsicht und Selbstbestimmung. 

3. Schreiben erlaubt Wunscherfüllung in der Phantasie und erzeugt einen Zustand des „Bei-sich-Seins“.

4. Geschichtenschreiben setzt voraus, dass Erfahrungen einen Zusammenhang, eine Art Ordnung, erhalten. Während man einen roten Faden spinnt, entwickelt sich Distanz zum Erlebten aber auch ein Verständnis für seine emotionale Bedeutung. Last but not least, können Autoren das Schöne und Gute des Lebens würdigen lernen.

5. Schreiben ist eine Übung in Achtsamkeit – „ein Instrument der Sensibilität für sich selbst und andere.  … Die Welt wird … bedeutsam.“

6. Schreiben ist ein Medium der Verewigung.

7. Schreiben hilft, im eigenen Leben einen Sinn zu finden.

Am besten belegt sind die positiven Effekte des Schreibens übrigens für die Bewältigung kritischer Lebensereignisse und Traumata. Die schon historisch zu nennende Studie von James Pennebaker und Sandra Beall zeigte 1983, dass Menschen, die viermal jeweils eine Viertelstunde über ein traumatisches Ereignis schrieben, kurzfristig wie langfristig besser mit ihrer Verletzung umgehen konnten. Die notwendige Voraussetzung für diesen Effekt: Sie hatten sich auch mit ihren Gefühlen auseinandergesetzt.

Aufrichtigkeit und Kontakt zu den eigenen Gefühlen scheint Schreiben zu einem heilsamen Unterfangen zu machen. Das haben nach Pennebaker und Beall viele Studien belegt.

Und wenn schon insgesamt eine Stunde Auseinandersetzung mit schmerzhaften Erlebnissen kurz-, mittel- und langfristig Linderung bringt, wie gut kann dann das tägliche Treffen mit uns selbst in den Morgenseiten oder dem Tagebuch oder auch – ein bisschen indirekter – beim Romanschreiben sein. 

Ich wünsche Euch viele schöne Begegnungen mit Euch selbst und vor allem Spaß beim Schreiben. 

 

 

 

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