Danksagungen und andere Geschichten

Thanksgiving ist zwar offiziell vorbei, aber etwas von der verordneten Dankbarkeit bleibt in mir. Tatsächlich will ich diese Gewohnheit weiter üben, und nach und nach meine alten Prägungen überschreiben. Ihr wisst ja: Unsere Gene lassen uns Segnungen schnell vergessen, während sie negative Erlebnisse in uns einbrennen wie Brandzeichen auf Pferderücken. Damit wir die Stelle im Wald auch ja meiden, an der wir ganz, ganz, ganz früher beinahe vom  Säbelzahntiger zerfleischt worden wären.

Heute habe ich daher zuerst die Todesanzeigen gelesen. Ja, es ist soweit, Frau Schreiber blättert die Tageszeitung von hinten durch, wie meine schon immer achtzigjährige Großtante mit dem Dutt es tat, aus dem – einmal aufgedröselt – weiße Haare bis zum Po herunterflossen. Und diese Erinnerung an die fließenden Haare hat sich eingemeißelt, da ich hinter dem Haarschleier auch einen unbedeckten Po erblickte, als ich achtjährig in ihr Badezimmer stürmte. Für meine Großtante eine Katastrophe. Wir haben dann über Scham gesprochen und ich entdeckte, wie schnell sich eine Kluft zwischen Generationen auftut und wieder schließen kann. Aber das ist eine andere Geschichte.

Geschichten – das ist das Stichwort, auf das ich eigentlich hinaus wollte. „Er begann als Geschäftspartner und wir nehmen jetzt Abschied als Freunde. Ciao“, schreibt ein Giovanni heute in der Todesanzeige über einen Klaus. Er hat ein Bild von einem Segelboot in die Traueranzeige gesetzt. Ich spüre den berühmten Kloß in meinem Hals – nicht nur, weil ich seit gestern linksseitig dicke Mandeln habe. Meine Neugier ist geweckt: Was haben Giovanni und Klaus miteinander erlebt? War Klaus etwa einst ein schnittiger Ex-Matrose, mit blondem Schopf und Seitenscheitel, als er zu Giovanni in die Pizzeria kam, vorzüglich aß und sagte: In diesem Lokal sollte ganz Bremen essen! Ich will Deine Pizza  berühmt machen“? Und hat sich dann eine Partnerschaft entwickelt und daraus eine Restaurantkette, mit einem Namen und Gerichten, die heute in aller Munde sind?

Nun, so war die Geschichte sicher nicht.
Aber das ist es, was passiert, wenn ich mich anrühren lasse von den Danksagungen der Menschen, die miteinander gelebt haben und bis in den Tod verbunden sind.

„Es wird aussehen,
als wäre ich tot,
und das wird
nicht wahr sein.
Und wenn Du Dich
getröstet hast
wirst du froh sein
mich gekannt zu haben

Und Deine Freunde
werden sehr erstaunt
sein,
wenn sie sehen,
dass du den
Himmel anblickst
und lachst.“

Antoine de Saint-Exupéry

Schon beim Lesen dieses Spruchs, der im Weserkurier vertikal neben den Traueranzeigen platziert ist, weiß ich: Diesen Vers möchte ich ans Ende meines Memoirs stellen. Denn beim Schreiben über Leerstellen meiner Kindheit hatte ich meine Mutter neu lieben gelernt, so dass ich dieses Jahr in den Himmel schauen kann und ihr zulächle. Und sie lächelt zurück.

Es sind zu viele Geschichten in der Tageszeitung, als dass ich Euch in diesem Blog alle meine Interpretationen erzählen könnte. „Die Kugel rollt nicht mehr. Wir trauern um unseren Freund … . Deine … Traumtänzer“ oder „Warum? Mit dem Fahrrad über die Alpen war Dein größter Traum. Am Morgen noch viele Worte von Dir …“ und „Papi, ich danke Dir für Alles, was Du mir geschenkt, gegeben und mich gelehrt hast. Ich hoffe, es ist schön bei Dir, wo immer Du jetzt auch bist. …“.

Und diesen  Spruch – ein Lückenfüller – zwischen den Anzeigen, nehme ich mit als Schreibanregung für den Totensonntag, morgen, im evangelischen Bremen:

„Sieh, das ist Lebenskunst vom schweren Wahn des Lebens sich befreien. Fein hin zu lächeln übers große Muss“ (Christian Morgenstern).

Und schließlich folgen in der Zeitung die „Glückwünsche und Grüße“. Da bedanken sich etwa Eltern, die schon zwei Kinder haben, für zwei weitere:

„Manchmal beschenkt einen das Leben reicher, als man es sich erträumt: Lasse Christopher (2.600 g) und Michel Henry (2460 g).“

Ein besseres Schlusswort kann es für heute ja wohl nicht geben. Eure Birgit

 

Nur noch dies: Wer eigene Geschichten in wohltuender Runde schreiben will, ist herzlich eingeladen zum monatlichen Schreibsalon am Mittwoch, 29.11.17, 18.30 bis 21.30, in der Bgm.-Schoene-Str. 12, Bremen.

 

Das ist die Frage, die uns in diesem Sommercamp besonders beschäftigen wird! Um sie zu beantworten, wollen wir nach Herzenslust fabulieren, fantasieren und Geschichten zu schreiben, die uns unserer Version von Freiheit näher bringen.

Im Sommercamp teile ich deshalb Schreibeinladungen und Imaginationen für drei entspannte Urlaubswochen. Nutze sie, wo immer du möchtest, zu Hause, am Strand, in den Bergen oder anderswo und erlebe jeden Tag ein bisschen deutlicher, wie sich Freiheit anfühlen kann!

Auf in einen wonnevollen Schreibsommer!

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