Leben ist …

… intensiv. Jedenfalls wenn man zu den HSP, den „Highly sensitive people“ dieser Welt gehört. HSP zu sein, ist nicht nur eine Qualität. Es bedeutet, dass man besonders empfindsam auf Gerüche, Geräusche, Bilder, Menschen, Tiere sprich: Reize aller Art reagiert.

Es gibt mittlerweile eine Reihe von Büchern zum Thema, in denen erklärt wird, wer sich zu den sehr Empfindsamen zählen kann oder muss. Ich stehe der neuen Kategorie HSP mit einiger Skepsis gegenüber. Ich denke mir: Bitte nicht noch eine Schublade, noch eine Pathologie oder – je nach Perspektive – ein Gütesiegel.

Nichtsdestotrotz muss ich feststellen: Ich kann mich mit einigem von dem identifizieren, was da über HSP geschrieben wird. Und wenn es diese HSP tatsächlich gibt, gehöre ich wohl seit frühester Kindheit dazu. Meine Mutter nannte mich liebevoll „Sensibelchen“, oder – wenn sie sich über mich ärgerte – auch „kompliziert“.

Aus ihrer Sicht ein berechtigtes Urteil: Wenn ich nicht schlafen konnte, weil der Kühlschrank zu laut surrte, zog ich nachts den Stecker – mit der entsprechenden Wasserlache im Gemüsefach am nächsten Morgen. Der Kühlschrank stand übrigens ein Stockwerk tiefer und drei geschlossene Türen entfernt von meinem Bett. Ich hörte das nervige Surren trotzdem.

Das liegt an meinem hypersensiblen Gehör – ein Gehör, das, so haben Tests gezeigt, Frequenzen wahrnimmt, die wohl 98 % der Menschen nicht registrieren können. Mein heutiger Kühlschrank gehört deswegen zu der hyper-leisen Sorte, mein Schlafzimmerfenster ist dreifach verglast und die Wand neben dem Bett hat Schallschutz.

Im Kino ertrage ich die Dolby-Surround-Anlage nur mit meinen Silikon-Ohrstöpseln. Die helfen mir auch im Zug, wenn ich intime Handygespräche oder Businessabsprachen ausblenden will. Und in Carlottas Trotzphase halfen sie mir, mein Kind trotz Geschrei von Herzen lieb zu haben.

Es gibt auch Fälle, da ist es nicht kompliziert, sondern ein Segen, ein HSP zu sein. Zum Beispiel dann, wenn ich in manchen Coachings wie mit einem Sensor wahrnehme, was mein Gegenüber auf ihrem oder seinem Weg unterstützen könnte. Irgendetwas im Blick, im Klang der Stimme, in der Art einer Geste zeigt mir, um was es eigentlich geht, auch wenn der Anlass der Beratung vielleicht ein ganz anderer war.

Hochsensibel zu sein, ist auch ein Segen, wenn es um meinen Job als Mutter geht. Wenn ich ganz sicher weiß, dass mein Sohn gleich in Tränen ausbrechen wird, während er lacht. Empfindsamkeit und Beobachtungsgabe ist schließlich nützlich, wenn ich meine sprachlose Hündin Jackie anschaue und an der Frequenz ihres Schwanzwedelns sehe, dass wir wieder mal zum Tierarzt müssen.

Heute morgen allerdings habe ich eines meiner Sinnesorgane wieder verflucht, diesmal war es meine empfindliche Nase. Von der Straßenbahn zum Schwimmbad lief ich hinter einer jungen Frau her, die hektisch die letzten Züge ihrer Zigarette aufsaugte, um dann gleich im Schwimmbad was für ihre Gesundheit zu tun. Dem Wind sei dank gab sie mir etliche Qualmbrisen ab, denen ich durch Hin- und Herschwanken zu entgehen versuchte. Vergeblich natürlich. Passanten dachten sicher, ich sei besoffen.

Im Schwimmbad kraulte ich dann meine Runden in einer Gruppe von Knoblauch-Fans. Intensiv saugte ich rechts, dann links, dann rechts, den Odeur in meine Lungen. Schließlich wechselte ich die Bahn.

Leben ist intensiv. Und wenn man zu den HSP gehört, vielleicht noch ein bisschen intensiver. Für eine Schreiberin ist Wahrnehmungsfähigkeit allerdings unabdingbar. Ich möchte nicht darauf verzichten – solange ich weiß, wie ich mich gegen zuviel Input wappnen kann (siehe Bild oben).

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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